Gute Neuigkeiten für den Naturtourismus in der Provinz Barcelona: Die Naturparks Garraf und Olèrdola haben das Qualitätssiegel SICTED erhalten. Diese Auszeichnung ist eine Anerkennung des Managements beider Naturparke, das auf hohe Qualitätsstandards in der öffentlichen Nutzung setzt.
Der Naturpark Garraf ist mit einer Größe von 12.000 Hektar eines der wichtigsten biologischen Naturschutzgebiete Kataloniens. Die kontrastreiche Berglandschaft des Parks, in der sich das Weiß des Kalksteins mit Weinstöcken und Trockensteinmauern abwechselt, bietet einer vielfältigen mediterranen Flora und Fauna einen Lebensraum.
Der Park ist von Wanderrouten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade durchzogen, auf denen man die unterschiedlichsten Aspekte der Naturlandschaft erkunden kann. So bietet die Route des Fondo Vallgrassa zum Beispiel herrliche Aussichten auf das Bergmassiv und die Umgebung. Die Route Masies del Garraf, führt zu den traditionsreichen alten Gehöften innerhalb des Parks. Die „Route der Sinne“ für Blinde ermöglicht es, den Park vor allem über das Gehör und den Geruchssinn zu erkunden.
Der Naturpark Olèrdola
Olèrdola liegt zwischen der Ebene des Penedès und den Bergen des Garraf. Von den Weinbergen abgesehen, ist die Landschaft karg und felsig, vor allem von Büschen bewachsen, jedoch von einigen Inseln aus Aleppo-Kiefern durchzogen. Ein Hauptanziehungspunkt des Naturparks von Olèrdola ist das beeindruckende Emsemble historischer Monumente, die hier zu finden sind: Ein iberisches Dorf, eine römische Festung, eine mittelalterliche Stadt mit präromanischen und romanischen Kirchen sowie die in den Felsen geschlagenen mittelalterlichen Gräber erzählen von einer langen und bewegten Siedlungsgeschichte.
Das Qualitätssiegel SICTED
SICTED (Sistema Integral de Calidad Turística en Destinos) ist eine Zertifikat, das vom Spanischen Institut für touristische Qualität in Destinationen (ICTE) mittels eines externen Audit verliehen wird. Erklärtes Ziel: Die Förderung der Qualität im Tourismus.
Von nun an werden die Naturparks Garraf und Olèrdola ihr öffentliches Angebot regelmäßig einer Evaluierung unterziehen, welche die Entwicklung des Qualitätsmanagements begutachet. Die mit dem SICTED-Siegel zertifizierten Regionen erhalten durch die regelmäßigen Kontrollen den Anreiz, sämtliche Arbeitsabläufe kontinuierlich zu verbessern, um zu garantieren, dass ihr öffentliches Angebot den hohen Qualitätsstandards entspricht.
Eines der interessantesten Gebäude im Eixample von Barcelona ist wohl die Casa de les Punxes. Ein Stadtpalast im modernistischen Stil, der 1905 von Josep Puig i Cadafalch entworfen wurde.
Stadtpalast im Eixample, Barcelona: La Casa de les Punxes
Das Gebäude, das verschiedene architektonische Strömungen in sich vereinigt und mit seinen sechs spitzen Türmen an ein mittelalterliches Schloss erinnert, hat seit jeher die Blicke der Passanten auf sich gezogen. Der ursprüngliche Auftrag des Architekten war es, drei Häuser für die drei Schwestern des Besitzers Bartomeu Terradas zu entwerfen. Das Ergebnis war ein märchenhaftes Gebäude mit drei verschiedenen Eingängen.
Entsprechend zieht die Besichtigung den Besucher der Casa de les Punxes in eine Welt der Legenden. Im Inneren des Gebäudes erfährt man im Rahmen einer audiovisullen Installation faszinierende Details über die Legende des Heiligen Sant Jordi. Der Stadtheilige Barcelonas hat eine unübersehbare Verbindung mit der Kunst des Modernismus und ist auch in der Casa de les Punxes ein wiederkehrendes Motiv.
Darüber hinaus genießen die Besucher die vielen spannenden architektonischen und dekorativen Details des außergewöhnlichen Palastes, den Panoramablick von der Dachterrasse und einen Raum, der es ermöglicht den Architekten Puig i Cadafalch sowie die Geschichte und Architektur des Hauses besser kennen und verstehen zu lernen.
Vom 14.-16. Oktober 2016 findet an der Costa Brava ein Mountainbike-Event statt, der zwei der berühmtesten Ortschaften dieses Landstrichs miteinander verbindet: Cadaques und Collioure. Der zweitägige MTB-Event bietet Gelegenheit, auf einer Gesamtstrecke von 150 Kilometern die Vielfalt der Landschaft zwischen Pyrenäen und Mittelmeer gemeinsam mit Radfahrern aus aller Welt kennenzulernen.
Cadaques – Collioure – Cadaques
Die erste Tagesetappe führt auf einer Streckenlänge von 80 Kilometern von Cadaques am Cap de Creus ins südfranzösische Collioure. Die Teilnehmer dürfen sich auf eine Route durch spektakuläre Landschaften freuen, die alle Reize der Region miteinander verbindet: Die Küste, die Weinberge, die Pyrenäenlandschaft und natürlich immer wieder die weiten Blicke auf das Meer. Weite Teile der Strecke verlaufen durch den Naturpark Cap de Creus mit schwindelerregenden Steilklippen, versteckten Buchten, Felsinseln und fantastisch geformten Steinformationen. Die zweite Tagesetappe, der 70 Kilometer lange Rückweg con Collioure nach Cadaques führt über eine andere, jedoch nicht weniger reizvolle Strecke.
Der Event Sealight –Cami de Llum richtet sich an leidenschaftliche MTB-Fans, für die das Unterwegssein mit Gleichgesinnten in außergewöhnlichen Naturlandschaften ein Lebensstil ist. Darüber hinaus bietet Sealight die Möglichkeit, spannende Einblicke in die Kultur und Geschichte der Ortschaften Cadaques und Collioure zu gewinnen.
Die ebenso reizvolle wie bizarre Landschaft um Cadaqués und das einzigartige Licht des Ortes hat eine Vielzahl von Künstlern inspiriert. Salvador Dalí residierte hier über Jahrzehnte, aber auch Picasso, Chagall und Klein erfuhren hier tiefgreifende Inspiration. Nicht weniger „malerisch“ ist Collioure, Entstehungsort des Fauvismus mit Matisse und Derain als herausragenden Vertretern. Doch nicht nur Kunstinteressierte werden am spannenden Programm rund um den Sealight-Event – inklusive Sternen-Wanderung und Routen zur Geschichte des Ortes – ihre Freude haben.
Voraussetzung für die Teilnahme:
Die Teilnehmer müssen über 18 Jahre alt sein und in guter körperlicher und psychischer Verfassung sein. Die Strecke stellt gewisse Herausforderungen, ist jedoch so gestaltet, das fitte Mountainbiker noch Vergnügen am Abendprogramm finden werden. Alle Einzelheiten, inklusive den genauen Voraussetzungen zur Anmeldung finden Sie unter sealight.cc
Wollten Sie auch schon immer mal den Machu Picchu oder Angkor Wat sehen? Kein Wunder, beide Orte zählen zu touristischen Traumzielen, die fast jeder Mensch gerne sehen möchte. Doch wer überraschende, exotische und hochemotionale Reiseerlebnisse sucht, muss nicht um die halbe Welt fliegen. Wir stellen Ihnen sieben Reiseerlebnisse vor, die es nur in Katalonien gibt. Sie werden sich wundern…
1. Die Patum de Berga
Sie fragen sich, was diese Patum de Berga eigentlich ist? Das können wir Ihnen nicht sagen, denn es ist ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das knapp 100.000 Menschen, die jährlich die Patum feiern, miteinander teilen. Sie alle sind sich einig, dass sich diese Erfahrung nicht in Worte fassen lässt. Aber natürlich können wir Ihnen ein paar Fakten zum Fest nennen: Die Patum findet jedes Jahr in der Fronleichnamswoche in Berga in der Provinz Barcelona statt. Sie ist eine Mischung aus Volksfest und Straßentheater, hält UNESCO-Welterbestatus und ist gleichzeitig wohl eine der extatischsten Partys, die der europäische Kontinent zu bieten hat.
Protagonisten der Festlichkeit sind kunstvoll inszenierte Fabelwesen wie Drachen, Riesen, Zwerge, Engel und Dämonen, die auf den Straßen tanzen. Das zentrale Ereignis des fünftägigen Ausnahme-Events ist ein els Plens genanntes Ritual, bei dem 18.000 Feuerwerkskörper gleichzeitig gezündet werden und als ein einziger großer Feuerball über den Platz zu fegen scheinen. So was ist nicht Ihr Ding? Das können Sie nicht wissen, bevor Sie es nicht erlebt haben. Gute Gründe für den Besuch eines Festes, bei dem Sie mit Puppen unter einem gigantischen Feuerball tanzen, finden Sie hier.
Volksfeste haben in Katalonien des Öfteren eine Aura, die wir hier mangels passenderer Worte einmal als „Dalí-Effekt“ bezeichnen wollen. Sie zeichnen sich aus durch die Mischung von ausgefallenen Ideen mit Perfektion in der Ausführung und jenem Quäntchen Wahnsinn, dass sie zu einzigartigen kollektiven Kunstwerken macht. Bestes Beispiel hierfür sind die Castells, jene bis zu neun Etagen hohen Menschentürme, die inzwischen ebenfalls den Status des immateriellen UNESCO-Welterbes für sich beanspruchen können. Wer genau auf die Idee kam, mit seinen Kollegen einen mehrstöckigen Turm aus Menschen zu errichten, ist nicht überliefert.
Wir wissen jedoch, dass die erste Vereinigung von Castellers, die Colla Vella dels Xiquets de Valls im Jahr 1801 in Valls in der Provinz Tarragona gegründet wurde. Kurz darauf gründete sich im Jahr 1805 die zweite Vereinigung Colla de Joves Xiquets de Valls, womit nun zum ersten Mal alle Voraussetzungen gegeben waren, um das Errichten von Menschentürmen zu einer Wettkampfdisziplin zu machen. Die beiden Gruppen traten also in eifrige Konkurrenz, errichteten bereits in dieser frühen Phase des neuen kulturellen Brauchtums neunstöckige Menschentürme, und verbrachten die Zeit nach dem Abbau der Türme gerne damit, sich gegenseitig zu verprügeln. Dennoch waren sie schon bald der Mittelpunkt vieler lokaler Feste und eine der interessantesten katalanischen Traditionen nahm ihren Lauf.
Kraft, Balance, Mut und gesunder Menschenverstand sind die Grundvoraussetzungen für das Errichten von Castells. Hinzu kommt ein so inniges Gemeinschaftsgefühl, das auch den unbeteiligten Zuschauern eine Gänsehaut über den Rücken läuft. Nähere Infos zu den Castellers, die im Oktober besonders aktiv sind, finden Sie hier
3. Pessebres VivEnts – Lebendige Krippen
Krippen sind ein populärer Bestandteil der Weihnachtstradition – aber eine lebendige Krippe haben Sie wahrscheinlich noch nicht gesehen. Wenn Sie zwischen Dezember und Januar nach Katalonien reisen, haben Sie Gelegenheit, das zu ändern. In diesen Wochen widmet sich ganz Katalonien den Krippenspielen, in denen Szenen der Weihnachtsgeschichte mit lebendigen Personen nachgestellt werden. Dabei legt man großen Wert auf die originalgetreue Nachbildung von Kleidern und Gebrauchsutensilien aus der damaligen Zeit. Ästhetisch beeindruckend sind die lebendigen Krippen aber auch deshalb, weil sie häufig an landschaftlich oder architektonisch besonders interessanten Orten in Szene gesetzt werden – sei es das historische Viertel eines Dorfes oder einer Stadt, sei es ein Wald, die Quelle eines Flusses oder ein altes Landgut. Falls Sie gerade Lust bekommen, anstatt über den Weihnachtmarkt einmal durch eine lebendige Krippe zu schlendern, dann finden Sie hier weitere Infos zu Pessebres VivEnts und weiteren katalanischen Weihnachtstraditionen.
Pessebres VivEnts – Katalanisches Krippenspiel
4. In den Pyrenäen auf Zeitreise gehen – Der Wanderweg El Cinqué Llac
El Cinquè Llac ist ein etwa 100 Kilometer langer Fernwanderweg, der auf uralten Hirtenwegen durch die Pyrenäen von Lleida führt – und in eine Gebirgswelt jenseits der Zeit. Jahrtausende alte architektonische Spuren erwarten den Wanderer auf diesem Weg ebenso, wie seit unzähligen Generationen überlieferte Geschichten und Legenden. Sie sind Ausdruck der Identität eines Landstrichs, den die Welt fast vergessen zu haben scheint. Entsprechend unberührt zeigen sich hier die Pyrenäentäler Vall de Fosca und Vall de Manyanet und entsprechend authentisch sind die alten Traditionen der Bauern und Schäfer erhalten geblieben. Die Trockensteinarchitektur, welche die Bauern- und Weidelandschaft prägt, ist dafür nur ein Beispiel.
Mindestens ebenso interessant sind Einblicke in die Traditionen und das Handwerk der Schäfer in den Pyrenäen, die sich am Weg eröffnen. Übernachtungen in liebevoll eingerichteten Gasthäusern geben dem Wanderer dann die Gelegenheit, die schönste Seite dieser traditionellen Lebensart am eigenen Leibe zu erfahren: Die Wirte am Weg setzen voll und ganz auf regionale Produkte, traditionelle Rezept und – wie könnte es anders sein – auf kulinarische Kreativität. So kann man sich jeden Tag von neuem inspiriert und gestärkt auf den Weg machen, um die 5 Etappen des Weges zu erkunden.
Allein ihre Namen geben schon einen Vorgeschmack auf das, was hier zu erwarten ist: Von der Schlafenden Riesin über den Hexentreff von Serraspina führt der Weg zur Teufelsbrücke und zum Verwunschenen Haus, um schließlich am L’estany de Montcortès, dem lange erwarteten fünften See zu enden. Was es mit diesem fünften See auf sich hat, welche Überraschungen die Route sonst noch zu bieten hat und wie Sie hinkommen, erfahren Sie hier.
Landschaft entlang des El Cinquè Llac in Katalonien
5. Ein menschengemachtes Naturparadies entdecken: Eine Reise ins Ebrodelta
Wenn der Mensch die Zivilisation bringt, dann geht es mit der Natur meistens den Bach runter. Das passiert so häufig, dass es fast schon ein Naturgesetz zu sein scheint. Im schönsten kleinen Land zwischen Pyrenäen und Mittelmeer läuft allerdings bekanntlich vieles ein bisschen anders. So ist es vielleicht gar nicht sehr verwunderlich, dass es in Katalonien ein Naturparadies gibt, dessen Existenz tatsächlich einer besonderen Form der Landwirtschaft zu verdanken ist.
Bis zum 19. Jahrhundert galt das Ebrodelta als denkbar ungeeigneter Ort für die landwirtschaftliche Nutzung. Bestenfalls konnten die salzhaltigen Böden als Weideland genutzt werden. Dann entdeckte man die Möglichkeit, das Delta zum Reisanbau zu nutzen. Aus dem Ebro wurden große Mengen an Süßwasser umgeleitet und nach und nach entstand im Delta eine faszinierende Vielfalt von Lebensräumen für Vögel, Fische und Amphibien: Süßwasser- und Brackwasserlagunen, mit Röhricht bewachsene Ufergebiete, Sumpflandschaften und Weideflächen – schließlich auch die Reisfelder selbst.
Diese Vielfalt von Biotopen gibt bis zu 350 verschiedenen Vogelarten einen Lebensraum. Manche überwintern hier, andere nutzen das Delta als Rastplatz auf ihrem Weg nach Afrika, wieder andere verbringen ihr ganzes Leben zwischen Reisfeldern, Lagunen und Mittelmeer. Ein verführerischer Gedanke, denn in der stillen Weite dieser geheimnisvollen Landschaft, gibt es erstaunlich viel zu entdecken – nicht nur für Birdwatcher. Wer sich nicht nur für die Natur, sondern auch die althergebrachten Traditionen des Delta de l’Ebre interessiert, der werfe einmal einen Blick hierhin. Eine Anleitung zum gediegenen Slowtravel im Ebrodelta finden Sie hier.
6. Sicher schwimmen im offenen Meer – Die Vies Braves
Die einen erkunden einen Landstrich gerne zu Fuß, die anderen vom Fahrrad aus – und dann gibt es noch diese ganz anderen. Deren Element ist das Wasser, nirgendwo fühlen sie sich wohler, keine Form der Bewegung ist auch nur annähernd so angenehm wie zu schwimmen. Der einzige Nachteil: Vom Wasser aus kann man in der Regel nicht die Umgebung erkunden. Entweder man zieht im Pool seine Bahnen oder man schwimmt am Strand auf und ab – oder man riskiert sein Leben beim Schwimmen entlang unbekannter Küstenlinien deren Strömungsverhältnisse man nicht kennt.
Die Katalanen dürfen sich rühmen die ersten zu sein, die für dieses Problem eine genial einfach Lösung gefunden haben. Diese nennt sich Vies Braves und bezeichnet ein katalanisches Meeres-Wegenetz für Schwimmer und Schnorchler, das für Sport, Freizeit und pädagogische Aktivitäten geschaffen wurde. 2015 startete man mit zehn markierten und mit Bojen versehenen Meereswegen an der Costa Brava. Inzwischen umfasst das Meereswegenetz bereits 18 Vies Braves, 14 davon an der Costa Brava und vier an der Costa Barcelona. Die sicheren Schwimmwege verlaufen parallel zu den Küstenwanderwegen (Camí de Ronda) und bieten die perfekte Möglichkeit, die Gegend „vom Wasser aus zu erkunden“. Nähere Infos zu den Vies Braves und ihrem breitgefächerten Angebot an Informationen, Kursen und Events gibt es hier.
In einer einzigen Stadt 9 Bauwerke mit Weltkulturerbe-Status entdecken
Vielleicht haben Sie bis hierhin gelesen und als kritisch denkender Mensch kommen Ihnen Zweifel. „Interessante Feste und Schwimm-Wanderwege sind ja gut und schön, aber – hat Katalonien denn überhaupt keine interessante Monumente zu bieten?“ Aber sicher doch, und zwar im Überfluss! Weltkulturerbe noch dazu. Und Katalonien spielt auch hier auf Weltklasse-Niveau: Hier können Sie neun als Weltkulturerbe deklarierte Gebäude in einer einzigen Stadt entdecken. Welche Stadt das ist? Raten Sie mal und dann klicken Sie am besten hier. Viel Spaß!
Josep Capellà ist Inhaber der Tourismusberatung DCB und Experte für die Entwicklung innovativer und nachhaltiger Tourismusprojekte in Katalonien. Zu den zentralen Arbeitsbereichen von DCB gehört die „Wiederaufwertung reifer Reiseziele“. Was es mit diesem merkwürdigen Begriff auf sich hat, weshalb an der Costa Brava schon in den 70er-Jahren alternative Tourismusmodelle erdacht wurden und warum das Örtchen L’Estartit seiner Zeit touristisch schon immer voraus war, erzählt er uns im folgenden Interview.
Katalonien-Tourismus: Du lebst und arbeitest in L’Estartit, einem Küstenort an der Costa Brava, der heute ein ungewöhnlich variantenreiches Angebot für Tauch- und Naturtouristen bietet und damit auch wirtschaftlich sehr erfolgreich ist. Vor 30 Jahren schien L’Estartit hingegen touristisch vor dem Aus zu stehen. An dem Prozess, in dessen Verlauf der Ort sich von einem touristisch kaum noch attraktiven Badeort zu einem Zentrum des Tauch- und Wandertourismus in Katalonien gewandelt hat, warst du direkt beteiligt. Erzähl uns ein bißchen über die touristische Entwicklung von L’Estartit.
Josep Capellà: Um die Entwicklung L’Estartits von den 80er-Jahren bis heute richtig zu verstehen, ist es hilfreich, auch ein bißchen über die Anfänge des Tourismus hier zu wissen. L’Estartit war eines der ersten Reiseziele in Katalonien, die mit großen englischen Reiseanbietern wie Wayfarers, HF Holidays und Ramblers zusammenarbeiteten. Das verdankt sich der Tatsache, dass ein Herr aus L’Estartit in den 50er-Jahren für eine Weile nach London zog, um sein Englisch zu verbessern und auch deshalb, weil er die Zukunft L’Estartits im Tourismus sah und in dieser Hinsicht etwas bewegen wollte. Offenbar hatte er viel Talent dafür, die richtigen Kontakte zu knüpfen, insbesondere mit den Pionieren der Charter-Gesellschaften.
KT: Welchen Einfluss hatten diese Charter-Gesellschaften auf die Tourismus-Entwicklung an der Costa Brava?
JC: Mitte der 50er-Jahre hatte sich die Wirtschaft in England von den Folgen des zweiten Weltkrieges erholt. Die Engländer hatten Arbeit, Einkommen und Ersparnisse genug, um ans Reisen zu denken. Zu dieser Zeit traten die Charter Gesellschaften ins Leben. Sie kauften Flugzeuge, die während des zweiten Weltkrieges als Lastflugzeuge gedient hatten, rüsteten sie um und flogen zunächst vor allem die französische Küste, Korsika und die Costa Brava an. Auf diese Art erschlossen sie einerseits interessierten Engländern neue Reiseziele und gaben andererseits den Piloten des zweiten Weltkriegs wieder Arbeit.
KT: Wie sah denn der Tourismus an der Costa Brava damals aus?
JC: Die ersten Touristen an der Costa Brava kamen damals vor allem, um das Land zu entdecken. Sie kamen auch, um zu baden, aber nicht in erster Linie. Die Engländer sind ja begeisterte Birdwatcher, die Royal Society for the Protection of Birds zum Beispiel hat über eine Million Mitglieder. Die unberührten Küstenlandschaften der Costa Brava waren wohl für Besucher mit Interesse an Natur- und Vogelbeobachtung ein echtes Paradies. Jedenfalls berichteten sie so begeistert von ihren Erlebnissen, dass ab 1956/57 die ersten Charter-Reisen die Costa Brava erreichten.
Allerdings war das damals noch eine vergleichsweise romantische Art des Tourismus. Die Gäste, die zur Costa Brava kamen, wurden von den Reiseanbietern auf die verschiedenen Gemeinden der Costa Brava verteilt. Pro Ort waren es nicht mehr als 15 bis 20 Touristen auf einmal. Aber mit steigender Konkurrenz und dem permanenten Kampf um die niedrigsten Preise änderte sich dieses Modell. Um die Kosten zu senken, verzichteten die Reiseanbieter darauf, die Gäste auf möglichst viele Orte zu verteilen. Statt dessen brachte man möglichst viele Touristen in einen Ort und dort nach Möglichkeit in einer großen Unterkunft unter. So war es möglich, zusätzliche Services wie Exkursionen und andere Aktivitäten zu niedrigen Preisen anzubieten.
KT: Sozusagen eine Industrialisierung des Tourismus?
JC: Ja, genau, und der Übergang zum Modell des preiswerten Strandtourismus, das an der Costa Brava von den 60er bis in die 80er-Jahre vorherrschend war. Immer größere Reisegruppen benötigten immer größere Hotels. Damals war praktisch die gesamte Küste als Bauland freigegeben. Um schnell eine entsprechende Infrastruktur aus dem Boden zu stampfen, gab es Vereinbarungen zwischen lokalen Unternehmern und Reiseanbietern. Diese liehen den Unternehmern vor Ort Geld für den Bau großer Hotels und erhielten im Gegenzug in den folgenden Jahren Zimmerkontingente zu günstigen Preisen.
Alles war auf schnelles Wachstum und niedrige Preise angelegt. So hatten zum Beispiel in den 60er-Jahren die großen Hotels in L’Estartit die Ausstattung von Drei-Sterne-Hotels, sie waren jedoch als Ein-Sterne-Hotel deklariert. Grund dafür war die Tatsache, dass zur Franco-Zeit die Kaufpreise für Hotels vom Staat vorgegeben wurden. Die Preise waren abhängig von der Kategorie und die Ein-Sterne-Hotels waren natürlich die günstigsten. Und da die Preisabmachungen mit den Reiseagenturen auf sehr preiswerte Hotels abzielten, wurden die neu gebauten Hotels als Hotels der preiswertesten Kategorie deklariert. In L’Estartit funktionierte dieses Modell bis in die Mitte der 80er-Jahre hinein. Danach ging es bergab.
JC: L’Estartit war ursprünglich ein „Pionier des Küstentourismus“ gewesen. In den 80er-Jahren waren dann jedoch noch wesentlich größere Hotels gefragt, als man zu Beginn des Tourismus-Booms gebaut hatte. Die großen Reiseanbieter zogen sich aus L’Estartit zurück und kooperierten nun mit wirklich großen Hotels, wie es sie zum Beispiel in Lloret de Mar gab. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass wir ein neues Tourismusmodell brauchten.
KT: Das hört sich nach einer großen Herausforderung an. Ein komplett neues Geschäftsmodell erfordert ja auch ein komplettes Umdenken aller Beteiligten…
JC: In gewisser Weise stand dieses neue Tourismus-Modell zu jener Zeit schon seit einigen Jahren im Raume und war eine Konsequenz der politisch-historischen Ereignisse Ende der 70er-Jahre. Nach dem Tod Francos begann 1976 der Übergangsprozess des Landes in einen demokratischen Staat. Dieser Moment des politischen Wandels gab einer Bewegung von Bürgern Raum, die über die Entwicklung der Costa Brava besorgt waren. Die Bewegung nannte sich Debat Costa Brava und es engagierten sich vor allem junge, gebildete Leute aus den verschiedensten Bereichen: Architekten, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen, Ökologen.
Hier wurden die unterschiedlichsten Fragen aufgeworfen, vom Einfluss des Tourismus auf die Identität des Küstenabschnitts bis zur problematischen Frage der Wasserversorgung. Es war eine sehr offene Debatte, getragen von engagierten Bürgern, deren Interessen über rein wirtschaftliches Wachstum hinausging. Man fragte sich Dinge wie „Mögen wir die Costa Brava, so wie sie heute ist? Hat sie in den letzten Jahren gewonnen oder verloren? Wie möchten wir die Küste in der Zukunft sehen und was können wir dafür tun?“ Die Debat Costa Brava entstand in dem einzigen schmalen Zeitfenster, in dem eine solche Form der Auseinandersetzung mit diesem Problem möglich war. Noch einige Monate vorher wäre ein solches Zusammentreffen und der freie Meinungsaustausch durch die Diktatur erschwert oder unmöglich gemacht worden. Und schon wenig später war es aus anderen Gründen schwierig, eine solche Debatte zu führen. Da zog dann nämlich die aufkommende Demokratie die allgemeine Aufmerksamkeit mit ihrer Wahlkampfpolitik in ihren Bann.
KT: Und damals wurde also bereits ein neues Tourismus-Modell für die Costa Brava erdacht?
JC: Es wurde zumindest klar, dass gerade die jüngeren Menschen ein Tourismusmodell in Frage stellten, bei dem es ausschließlich darum ging, Reiseanbietern gerecht zu werden, ohne dabei die kulturelle Identität, die Natur und die Zukunft der Costa Brava im Allgemeinen mitzubedenken. 1979 gab es dann die ersten demokratischen Wahlen der Stadtverwaltungen. Bis dahin war es ja Franco, der diese Ämter nach eigenem Gutdünken verteilte.
In Torroella de Montgrí, einem Ort im Landesinneren, der eine Verwaltungseinheit mit L’Estartit bildet, gewann eine Gruppe von Menschen, die an der Costa Brava Debatte teilgenommen hatte und auf kulturellem Niveau interessiert war. Es waren vor allem junge Leute, die dort in die Stadtverwaltung einzogen, die nach der Diktatur zunächst in einem katastrophalen Zustand war und komplett umstrukturiert werden musste. 1980-81 wurden dann die ersten offiziellen Baupläne erstellt. 1976 durfte noch überall gebaut werden. Hätte sich der Ort so entwickelt, wie die damaligen Pläne das vorsahen, dann hätte sich die Anzahl der touristischen Unterkünfte auf bis zu 120.000 versechsfacht, während gerade einmal 10% der Unterkünfte für die örtliche Bevölkerung vorgesehen waren.
KT: Was passierte also nach diesem Machtwechsel in der Stadtverwaltung von Torroella de Montgrí/L’Estartit?
JC: Wenn man ein neues Tourismusmodell etablieren will, führt der Weg dahin immer über die Stadtplanung bzw. Stadtentwicklung. So wurde 1983 zunächst der Bereich als Bauland ausgeschlossen, der heute als Naturpark unter Schutz steht, also insbesondere die kleinen Felsbuchten mit den 100 Meter hohen Steilwänden. Auf dieses Gebiet hatten damals natürlich schon verschiedene Unternehmer ein Auge geworfen. Als das Bauland plötzlich stark eingeschränkt wurde, war hier im Ort erst mal ganz schön was los. Es gab Leute, die den Bürgermeister und die Verantwortlichen für die Stadtplanung am liebsten umgebracht hätten. Aber die Entwicklung des neuen Tourismusmodells nahm hier ihren Ausgangspunkt.
KT: Wie sah dieses neue Tourismusmodell denn nun konkret aus?
Josep Capellà: Es war klar, dass wir weiterhin vom Strandtourismus leben mussten. Um dies möglich zu machen und gleichzeitig eine neue Art des Tourismus zu etablieren, mussten wir den Wert dessen hervorheben, was in L’Estartit einzigartig war. Und die Küste von L’Estartit hat ein völlig einzigartiges Merkmal, nämlich die ihr vorgelagerten Medes-Inseln. Der Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau war schon 1956 zum Tauchen hier, weil er um die Qualität der Meeresgründe rund um die Medas-Inseln wusste. Und bereits 1971 hatte es von staatlicher Seite einen Vorschlag gegeben, aus dem Gebiet ein Naturschutzgebiet zu machen. L’Estartit war also durchaus ein Ort mit besonderen Qualitäten, die aber bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht ins rechte Licht gesetzt worden waren.
1956: Jacques-Yves Cousteau an der Costa Brava
KT: Wie ist man vorgegangen, um das zu ändern?
JC: Einerseits haben wir L’Estartit weiterhin als Strandreiseziel verkauft und zu diesem Zweck die Infrastrukturen verbessert: Die Wasserqualität, die Kläranlagen, die Sauberkeit allgemein, die Straßenbeleuchtung, die Grünanlagen – alles, was ein Reiseziel attraktiver macht. Dabei haben wir den Tourismus auf bestimmte Bereiche konzentriert und andere unberührt gelassen, so dass die Natur als unsere wichtigste Ressource sich wieder erholen konnte. Gleichzeitig haben wir die Elemente in Szene gesetzt, welche die Schwestergemeinden L’Estartit und Torroella einzigartig machen, nämlich die Medes-Inseln einerseits und den historischen Stadtkern Torroellas und seine mittelalterliche Burg andererseits.
KT: Und von diesen einzigartigen Elementen ausgehend habt ihr dann das touristische Angebot entwickelt?
JC: Ja genau. Wir haben schon 1983 begonnen, zusätzliche Aktivitätsangebote für Strandtouristen zu schaffen. So haben wir damals schon Wander- und Fahrradwege markiert und diese in Karten eingezeichnet. Bereits im nächsten Jahr benötigten wir 5000 Kopien dieser Wanderkarten. Wir dachten damals „Also schön, wenn hier jemand wandern oder spazieren möchte, dann kann er diesen Hügel hochlaufen und hat eine großartige Aussicht, und wenn die Leute danach Lust haben, baden zu gehen, dann ist da unten eine wunderbare kleine Bucht.“ So haben wir angefangen, und die Nachfrage hat sich gesteigert. Wir haben festgestellt, dass auch die Strandtouristen zusätzliche Angebote nutzen, wenn man sie ihnen zur Verfügung stellt.
Der zweite wichtige Punkt war es, die Medes-Inseln als Meeresreservat unter Schutz zu stellen. Als dies von offizieller Seite genehmigt wurde, fingen wir an, Informationen über die Wichtigkeit des Naturschutzes zu verbreiten. Gleichzeitig erholte sich die Flora und Fauna der Medes-Inseln und wurde für den Tauchtourismus immer interessanter. So bemerkten immer mehr Unternehmer – auch die, die der Naturschutzidee zunächst abgeneigt gegenüber standen, dass dieses neue Naturschutzgebiet ihnen Geld brachte. 2015 brachten die Aktivitäten im Bereich der Medes-Inseln, also Tauchen, Schnorcheln, Kajak, Meeresexkursionen etwa 12 Millionen Euro ein und garantieren gleichzeitig 200 Arbeitsplätze. Das sind 7% der Gesamtbevölkerung von L’Estartit.
Das dritte Schlüsselelement für die Entwicklung des neuen Tourismusmodells war die Organisation einer klassischen Konzertreihe in Torroella de Montgrí im Sommer, die zunächst vor allem wohlhabende Besucher aus Barcelona mit kulturellem Interesse anzog. Das Festival de Musica de Torroella de Montgrí gehört heute zu den bedeutenden Sommerveranstaltungen Kataloniens. Es bot uns die Möglichkeit, der European Festival Association beizutreten. Das wiederum bedeutete, dass alle Fernsehsender und die großen Zeitungen während der Konzertreihe Berichterstatter nach Torroella schickten – ein fantastisches Marketing für den Ort. Vor allem die beiden letzten Punkte halfen sehr dabei, die örtliche Bevölkerung davon zu überzeugen, dass ein anderes Tourismusmodell möglich war.
KT: Wie hat sich der Tourismus denn von dort ausgehend entwickelt?
JC: Die Aktivitäten rund um die Medes-Inseln hatten einen Multiplikator Effekt. Es entstanden immer mehr Tauchzentren – bis zu einem Punkt, wo wir die Tauchgänge zugunsten der Erhaltung des Gebietes einschränken mussten. Also begann man, andere Aktivitätsangebote zu entwickeln, wie Schnorcheln, Kayak etc. Um nachhaltig zu wirtschaften, konnten wir also auch hier nicht einfach nur auf eine kontinuierliche Erhöhung der Besucherzahlen setzen. Der springende Punkt war, ein weit gefächertes Angebot zu entwickeln, das es den Besuchern ermöglicht, die verschiedenen Facetten der Region zu erkunden und kennenzulernen. Ich glaube, heute ist L’Estartit eines der Reiseziele der Costa Brava mit den variantenreichsten Aktivitätsangeboten für Wasser- und Meeressport.
KT: Der Prozess der Tourismusentwicklung in L’Estartit geht also von einem Modell eines auf Badeurlaub konzentrierten Massentourismus zu einem sehr breit gefächerten Angebot von Wassersport über Wandern und Radfahren bis zum Kulturtourismus?
JC: Ja, genau. Und um sicherzustellen, dass es so weitergeht, hat die Stadtverwaltung in den 90er-Jahren darauf gedrungen, den Naturpark Montgrí, Medes-Inseln und Baix-Ter einzurichten, damit nicht ein Regierungswechsel die gesamte bislang geleistete Arbeit zunichte machen könnte. Das Schlüssel-Element hinter der gesamten touristischen Entwicklung sind die Medes-Inseln.
KT: Wie kam es eigentlich, dass der Wert der Medes-Inseln damals endlich erkannt wurde?
JC (druckst ein bißchen, bevor er antwortet): 1982 kam ein Dekret zur Korallenfischerei heraus. Die war bis dahin verboten und sollte nun an den Medes-Inseln erlaubt werden. Die Fischer, die Tauchzentren und die Stadtverwaltung protestierten dagegen und forderten ein Verbot und gleichzeitig, dass ein Meeres-Reservat eingerichtet würde. Gleichzeitig bestätigten mehrere Wissenschaftler die Bedeutsamkeit der Medes-Inseln als Habitat für unterschiedliche Arten.
Ich selber tauche gern, ich habe immer hier in L’Estartit getaucht und ich hatte über Tauchtourismus und Naturparks gelesen. Mit all diesen losen Fäden im Kopf bin ich damals nach Aix-en-Provence gefahren, wo es ein bedeutendes Zentrum für Touristische Studien mit einem sehr guten Dokumentationszentrum gab. Ich suchte also Information über Tauchen und Tourismus und Tauchtourismus und sah verschiedene Beispiele von Naturparks in aller Welt. Und damals war für mich alles klar. „Wenn wir einen Tourismus etablieren wollen, dessen Basis die Einzigartigkeit und die Identität der Region ist, dann sind die Medes-Inseln der Schlüssel dazu.“ Das war der Ausgangspunkt.
KT: Wie sieht L’Estartit heute aus? Was ist mit den „Hotelklötzen“, die das alte Tourismusmodell repräsentieren? Die kann man ja nun nicht einfach aus der Welt schaffen?
JC: Das ist richtig. Um das Stadtbild nachhaltig zu verändern, braucht man wohl 30 oder 40 Jahre. In diesem Moment ist L’Estartit noch sozusagen in einem schizophrenen Zustand. Einerseits bewerben wir den Ort als Reiseziel für Wander- und Tauchtouristen und wir haben die entsprechenden hochwertigen Angebote. Und wir arbeiten an der Regeneration wertvoller Landschaftsräume, dafür ist das Auengebiet La Pletera an der Mündung des Flusses Ter nur ein Beispiel. Andererseits ist die Architektur in weiten Teilen noch ein Relikt des alten Tourismusmodells. Aber gerade jetzt gibt es eine Menge Investitionen, um dies zu ändern: Es wird eine neue Strandpromenade gebaut und der Hafen und das historische Zentrum erhalten mehr Fußgängerzonen und werden insgesamt schöner gestaltet. Ich denke, der Imagewechsel, an dem wir seit Jahrzehnten arbeiten, wird in den nächsten vier oder fünf Jahren auch auf architektonischer Ebene sichtbar werden.
Josep Capellà lebt seit seiner Kindheit in der Gemeinde Torroella de Montgrí-L’Estartit. In den 80er-Jahren hatte er dort verschiedene Ämter inne. Er war unter anderem Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister zu einer Zeit, als das Modell des „traditionellen Strandtourismus“ für L’Estartit aufhörte zu funktionieren. Während der Suche nach einem neuen Weg, den Ort wieder touristisch attraktiv zu machen, bemerkte Josep, dass es nicht seine Berufung war in einer einzigen Gemeinde zu arbeiten.
Stattdessen begeisterte ihn die Erforschung neuer touristischer Ansätze, die Arbeit an Projekten und die Möglichkeit, sein Wissen mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Nach seiner Zeit in der Stadtverwaltung von L’Estartit war Josep deshalb viele Jahre als touristischer Berater unterschiedlicher Gemeinden an der Costa Brava tätig. Vor acht Jahren gründete er mit seiner Frau Inma Balbé die Tourismusberatung DCB. Die Entwicklung des neuen Tourismusmodells für L’Estartit hat sich im Nachinein als das Fundament seiner späteren Tätigkeit als Tourismusberater erwiesen.
Wer sich schon einmal mit Aktivitäten rund um den Weintourismus in Katalonien beschäftigt hat, ist sicherlich mehr als einmal auf das Angebot der maridatges gestoßen. Doch was hat es mit diesen maridatges, für die wir im Deutschen keine adäquate Übersetzung haben, eigentlich auf sich? Wir haben Evarist March von Naturalwalks befragt. Der Experte für Botanik, Nachhaltigkeit und Ökotourismus ist gerade aus New York zurückgekehrt, wo er gemeinsam mit dem Team des Celler de Can Roca eine ganz besondere Form von maridatges in einem Workshop für Weinexperten präsentiert hat.
KT: Evarist, eine der Aktivitäten, die ihr bei Naturalwalks anbietet, sind maridatges entre flors, also maridatges zwischen Blumen. Könntest du uns zum Einstieg erklären, was genau eine maridatge eigentlich ist?
EM: Eine maridatge ist eine Degustation, die ein Getränk, in diesem Fall einen Wein, mit einem anderen Nahrungsmittel verbindet. Traditionell sind das zum Beispiel Käse oder Wurstwaren –wir kombinieren den Wein nun mit Wildblumen. Bei einer maridatge lenken wir unsere Aufmerksamkeit ganz bewusst auf das besondere Zusammenspiel der beiden unterschiedlichen Geschmäcker, die auf unterschiedliche Weise miteinander harmonieren.
KT: Wie kamst du auf die Idee, die Produkte einer herkömmlichen maridatge wie Käse oder Wurstwaren gerade durch Wildblumen zu ersetzen?
EM: Durch die Erfahrungen, die ich bei meiner Arbeit mit essbaren Pflanzen und Heilpflanzen sammeln konnte, habe ich bemerkt, dass die Blüten in vielerlei Hinsicht einen besonders subtilen Charakter haben; das betrifft die Textur, den Geschmack und die Aromen. In all diesen Aspekten sind die Blüten in der Regel sehr viel angenehmer als die übrigen Teile aromatischer Pflanzen. Man kann sie wirklich genießen und sehr viel mehr Nuancen wahrnehmen. Ich habe erkannt, dass sie sicherlich der liebenswürdigste Part der Natur in der Küche sind – und offensichtlich auch der schönste.
Diese Erkenntnis in Kombination mit meiner Arbeit im Celler de Can Roca und insbesondere mit Josep Roca, der ein wahrer Meister unter den Sommeliers ist, hat uns zu einer spannenden Feststellung geführt: Die Degustation von Blüten und Wein, bzw. die maridatge dieser beiden Elemente, ermöglicht es uns, den Ursprung des Geschmacks und die Aromen der Natur – also die Blüten – mit dem zu verbinden, was wir Kultur nennen: die Küche, die Gastronomie, die Welt der Weine und Liköre. Die Verbindung von Natur und Kultur zieht sich als roter Faden durch meine gesamte Arbeit.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Kultur eine Transformation der Natur ist. Wenn man diesen Gedanken auf die Gastronomie anwendet, ist der Wein eines der besten und aktuellsten Beispiele. Das wiederum liegt ganz auf einer Linie mit dem, was wir bei Naturalwalks machen: Wir bringen den Menschen über Erlebnisse in der Natur die Kultur eines Ortes näher, und der Wein ist zweifellos ein integraler Bestandteil unserer Kultur und unseres Charakters.
KT: Du belieferst die Küche des Celler de Can Roca, der schon zweimal in Folge zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde, mit Wildblumen. Diese werden nicht etwa zur Dekoration genutzt, sondern um dem Essen eine ganz besondere Note zu geben. Kannst du uns etwas über den Gebrauch von Blüten in der Küche erzählen?
EM: Zunächst einmal muss ich sagen, dass es ein riesiges Privileg ist, mit diesen absoluten Profis der Gastronomie zusammenzuarbeiten. Den Brüdern Roca liegt die Begeisterung für die Welt der Kulinarik im Blut, jedem in seinem Fachgebiet und mit seiner speziellen Sicht der Dinge.
Die Wildblumen haben in der Küche, so wie wir sie heute verstehen, noch keine lange Tradition. Selbstverständlich wurden die Blüten als der weichste Teil der Pflanzen seit jeher genutzt, aber heute hat ihre Anwendung eine neue Dimension bekommen. Wir essen heute so sehr „mit den Augen“ wie noch nie zuvor in der Geschichte der Küche. Unabhängig vom Ort oder der Art der Küche, sei es Raw Food oder Haute Cuisine, wird zunächst mit den Augen konsumiert. Da ist es natürlich naheliegend, dass Blüten heute eine ganz grundlegende Rolle spielen. Vor zehn Jahren noch war es undenkbar, auf dem Markt eine solche Bandbreite an Blüten zu finden, wie sie heute angeboten wird.
Katalonien ist in Bezug auf Wildpflanzen und insbesondere was Blumen betrifft, ein echtes Paradies. Im Laufe von 12 Monaten und im Radius von eineinhalb Stunden Fahrt findet man hier praktisch alle Pflanzenarten Europas, von der alpinen Flora bis zur rein mediterranen der Dünen und Felsklippen. Das bedeutet, wir können hier im Verlaufe eines Jahres alle Arten von Pflanzen finden.
KT: Was „machen“ die Pflanzen denn mit den Gerichten, weshalb legt man solchen Wert darauf?
EM: In der sogenannten „Haute Cuisine“ ist es heute schwierig, ein Gericht ohne Blüten zu finden. Sie geben einem Gericht nicht nur Farbe und eine schöne Optik, sondern auch feine Geschmacksnoten und interessante, sehr subtile Aromen, wenn sie mit verschiedenen Produkten kombiniert werden.
KT: Von der Optik einmal abgesehen, wodurch unterscheiden sich der Gebrauch von Blüten und Kräutern in der Küche?
EM: Der Begriff „Kräuter“ ist sehr allgemein und aus meiner Sicht auch nicht wirklich botanisch. Die Mehrheit der Kräuter, die wir in der Küche nutzen, sind nicht wirklich Kräuter, denn es handelt sich häufig um verholzende, relativ langlebige Strauchpflanzen wie Rosmarin oder Thymian. Kräuter und Blüten ähneln sich, weil beide eine kurze Lebsensdauer haben. Die Blüten sind der vitalste Teil der Pflanze. Sie wurden geschaffen, um in verschiedener Hinsicht attraktiv zu sein und bergen eine viel größere Komplexität als wir denken.
KT: Die Idee, maridatges mit Wein und Blüten zu machen, hat große Aufmerksamkeit erregt. Ihr seid eingeladen worden, in Madrid und New York Workshops zum Thema für Weinprofis zu halten. Kannst du uns sagen, weshalb diese Idee so viel Widerhall findet?
EM: Wir haben diese Aktivität vor einigen Monaten in Barcelona auf einem internationalen Kongress für Önotourismus präsentiert und haben damit unerwartet großen Erfolg gehabt. Im Anschluss hat uns das Patronat de Turisme Costa Prava-Pirineos eingeladen, diese Aktivität in Madrid zu präsentieren und in New York im Zusammenhang mit der Gala der 50 besten Restaurants der Welt. In diesem Fall bin ich mit Dani Martínez, dem Sommelier des Celler de Can Roca dort hingefahren. Wir haben zwei Präsentationen gehalten, eine für Weinexperten aus den Vereinigten Staaten, die andere für Premiumfirmen. Beide Präsentationen sind sehr gut angekommen, man hat uns zur Originalität und Ausgewogenheit der Aktivität gratuliert, und einige Reiseanbieter haben schon Kooperationen mit uns angefragt.
KT: Auf eurer Webpage bietet ihr maridatges entre flors an, die den Gaumen, die Pflanzen und die Geschichte einer Landschaft über den Wein miteinander verbinden. Das klingt faszinierend – könntest du uns etwas genauer erklären, um was genau es da geht?
EM: Ja, natürlich. Im Prinzip liegt das alles auf der gleichen Linie, über die ich schon vorhin gesprochen habe. Als Ökotourismus-Anbieter wollen wir den Besuchern die Landschaften Kataloniens in Verbindung mit der Kultur des Ortes näher bringen: Die Küche, die Welt des Weins, die Landschaft als Reflektion der Geschichte in der Natur und natürlich auch die Sitten und Bräuche des Ortes.
Deshalb kombinieren wir maridatges wann immer es möglich ist mit einem Spaziergang durch die Naturlandschaften des Ortes, oft in unmittelbarer Nähe der Bodegas. Wir möchten unseren Gästen die Möglichkeit geben, sich in diesem Terrain zu verorten. Deshalb zeigen wir ihnen ganz praktisch, wo genau auf der Landkarte wir uns befinden und wie wir anhand der Natur festmachen können, dass wir tatsächlich in genau diesem Winkel der Welt sind. Wir machen einen gemütlichen Spaziergang zu schönen Orten der Weinlandschaften und sammeln unterwegs einige Pflanzen und Blumen, die wir später bei der maridatge benutzen. Dann kehren wir zurück zum Ort, der für die maridatge vorbereitet ist. Das kann auf dem freien Feld sein oder in den Innen- oder Außenräumen einer Bodega, eines Hotels oder eines Restaurants – und dort widmen wir uns dann der maridatge. Wir verbinden dabei die Erde, die ursprüngliche Natur, mit einem Produkt, das mittels Zeit und Erfahrung modifiziert wurde, dem Wein!
Wir wissen heute besser als zu jedem anderen Zeitpunkt der Geschichte, dass man einen Wein nicht verstehen kann, ohne die Makro- und Mikrobedingungen der Erde zu kennen, in der seine Reben gewachsen sind. Der geschichtliche Prozess, in dessen Verlauf wir eine Pflanze – in diesem Fall die Rebe – an die Mikrobedingungen unterschiedlichster Orte angepasst haben, hat zu dem geführt, was ich als modifizierte Natur bezeichne. Mit zunehmendem Wissen und zunehmender Technologie haben wir das gleiche mit weiteren Prozessen gemacht, zum Beispiel mit Fermentierung und Konservierung, die wir bis zum momentanen Endresultat immer weiter verfeinert haben. Der Ursprung all dessen ist immer die Natur, und all diese Aspekte möchten wir dann am Tisch einer maridatge miteinander vereinigen. Die genuine Chemie der Wildpflanzen, der Ursprung, trifft auf den Saft von Früchten, die über die Jahrtausende verschiedenste Transformationen erfahren haben. Das ist eine Wiederbegegnung zwischen dem Ursprung und der Gegenwart vor dem Hintergrund besonderer Naturlandschaften. Salut!
Bevor er zum neuen Trend im katalanischen Tourismus wurde, galt er vielen als Freak. Er ist Botaniker, Experte für Konfliktmediation und der ebenso unruhige wie erfinderische Geist hinter der Ökotourismus-Agentur Naturalwalks. Seitdem er den Celler den Can Roca mit Wildkräutern und Blüten versorgt, feiern ihn die katalanischen Medien außerdem als den „persönlichen Druiden des besten Restaurants der Welt“. Ein Interview mit einem Grenzgänger…
Evarist March vermittelt Besuchern die Faszination der jüdischen Kultur Gironas anhand der Pflanzen, die in der Stadt wachsen. Er verrät, warum der Montjuic von innen hohl ist und erklärt, weshalb der Johannisbrotbaum die Entstehung Barcelonas erst möglich machte. „Wir wollen nicht informieren!“, ist ein Motto, dass er gerne und oft ausspricht. Mit seiner Agentur Naturalwalks verfolgt er ein anderes Ziel: „Wir wollen den Menschen, die mit uns in die Natur gehen, Erfahrungen vermitteln, die sie mit nach Hause nehmen und die ihnen in ihrem Alltag nützlich sind.“
KT: Erzähl uns ein wenig über das Konzept von Naturalwalks. Was macht eure Arbeit aus?
EM: Wir sind keine Naturführer im herkömmlichen Sinne. Für uns ist die Natur die Brücke zur Kultur, zur Gastronomie und den Menschen eines Landstrichs. Anhand der Natur kann ich die Landschaft Kataloniens erklären, die Landschaft wiederum verrät, wie wir hier in den letzten paartausend Jahren gelebt haben. Ich kann unsere mediterrane Diät erklären, deren Basis die mediterranen Pflanzen sind, mit denen wir Olivenöl produzieren, Aromen in unsere Gerichte bringen oder Arzneien herstellen. Anhand der verschiedenen Pflanzen kann ich erklären, wie wir traditionell gegessen, gebaut oder Werkzeuge hergestellt haben. Die Natur bildet für uns die Brücke, um den gesamten Charakter eines Ortes und seiner Menschen erfahrbar zu machen.
KT: Welche Philosophie steht hinter deiner Arbeit mit Naturalwalks?
EM: Im digitalen Zeitalter sind wir mit einem Überangebot an Information konfrontiert. Kein Naturführer der Welt kann mit der Menge an Information konkurrieren, die jeder seiner Zuhörer in Form eines Smartphones in der Tasche trägt. Deshalb konzentrieren wir uns in unserer Arbeit darauf, nicht einfach Information zu bieten, sondern Erfahrungen. Und was sind Erfahrungen? Erfahrungen sind Momente, in denen wir uns als Menschen fühlen, in denen wir in Verbindung sind mit dem, was wir vor Augen haben und dem was uns umgibt. Wir zeigen den Menschen, mit denen wir in die Natur gehen, essbare Pflanzen und Heilkräuter, wir zeigen ihnen, wie die Natur uns lehrt, nachhaltig zu sein. Wir wünschen uns, dass sie diese Erfahrungen mit nach Hause nehmen, sie verinnerlichen und im Alltag ihre Freude daran haben. In drei Schlagworten zusammengefasst geht es bei Naturalwalks um Nachhaltigkeit, Botanik und Ökotourismus.
KT: Wie kamst du auf die Idee, Naturalwalks zu gründen?
EM: Ich habe zehn Jahre als Biologe an Universitäten gearbeitet und fünf Jahre in Botanischen Gärten. Ich komme also einerseits aus der Welt der Wissenschaft, andererseits habe ich auch im sozialen Bereich gearbeitet, unter anderem in Projekten der Konfliktmediation – zunächst im Baskenland und dann zwei Jahre in Kolumbien. Naturalwalks ist sozusagen die Symbiose all der Dinge, die ich bislang im Leben gemacht habe und die mir wichtig sind. Ich liebe es, den Leuten die Natur zu zeigen, ich arbeite gerne mit Menschen, ich mag die Vielfalt in all ihren Aspekten und ich mag mein Land – und ich mag die Idee, dass die Natur alles verbindet.
KT: Was genau meinst du damit, wenn du sagst, dass die Natur alles verbindet?
EM: Ich kann meine Gäste zum Beispiel in die Welt der biblischen Pflanzen führen und von dort aus eine Verbindung zu anderen Religionen ziehen. Die gleichen Pflanzen werden auch von Palästinensern und Arabern, von Moslems und Ottomanen benutzt. Die Natur ist unparteiisch, sie kennt keine Grenzen. Sie erlaubt mir, an jedem Ort der Welt meiner Arbeit nachzugehen, und jeder Mensch kann ihre universelle Sprache verstehen.
KT: Du bietest botanische Führungen zur jüdischen Kultur Gironas an. Wie dürfen wir uns das vorstellen?
EM: Ich habe vor einiger Zeit die Direktorin des Jüdischen Museums von Girona getroffen und nachdem wir uns unterhalten hatten, kam mir die Idee, dass wir unseren Gästen Girona einmal aus einer anderen Perspektive zeigen könnten. Die Stadt Girona ist berühmt für ihre Verbindung zur jüdischen Kultur. Ich habe angefangen zu recherchieren und festgestellt, dass es eine Menge wissenschaftlicher Studien zur Bibel aus der Perspektive der Botanik gibt. Und da kam mir die Idee, dass wir eine Führung zur jüdischen Kultur der Stadt entwickeln könnten, bei der nicht die Gebäude, sondern die Pflanzen der Stadt im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Ich will nicht Kultur im herkömmlichen Sinne vermitteln, ich führe die Menschen durch die Stadt und zeige anhand der Pflanzen Verbindungen auf. Es ist die Natur, die alles verbindet, in diesem Fall das heutige Girona mit dem alten jüdischen Girona.
EM: Ich zeige den Leuten Pflanzen, die in der Stadt wachsen, zum Beispiel die Weinpflanzen. Der Wein ist die am zweithäufigsten in der Bibel erwähnte Pflanze und er hatte für das tägliche Leben der Menschen eine enorme Bedeutung. In der Stadt Girona haben wir vor allem Weinranken, mit denen wir gerne unsere Terrassen überdachen. Diese Pflanze gibt uns einerseits Schatten, andererseits nutzen wir ihre Trauben in verschiedensten Formen. Wir können die Früchte essen, als Trockenfrüchte sind die Rosinen haltbare und energetische Nahrung, deshalb waren sie in früheren Zeiten ein unverzichtbarer Begleiter auf Reisen. Wein genoss man nicht nur als Getränk, man nutzte ihn auch, um Essen und Medizin haltbar zu machen. Auf einer anderen Ebene ist der Wein eine Pflanze von hoher Symbolkraft und integraler Bestandteil der christlichen Messen.
Wir kultivieren nun seit über 4000 Jahren Weinpflanzen, wir modifizieren sie, so dass sie auch in vergleichsweise kalten Regionen wie Deutschland wachsen können. Wir nutzen die Pflanze auf verschiedenste Arten und diese modifizierte Natur nennen wir dann Kultur. Das gilt für Feigen-, Oliven- und Johannisbrotbäume genauso wie für den Wein. Anhand dieser Pflanzen kann ich erklären, wie die Menschen vor hunderten und tausenden von Jahren gelebt haben.
KT: Das klingt spannend, aber um das, was du sagst, ganz zu verstehen, muss man sich sicherlich mit dir auf den Weg machen. Welche Bedeutung eine Pflanze haben kann, die Schatten auf einer Terrasse spendet, wird uns Deutschen zum Beispiel erst wirklich klar, wenn wir eine Weile unter mediterraner Sonne unterwegs waren…
EM: Ja, das ist richtig. Es geht uns ja darum, Erfahrungen zu vermitteln und nicht theoretisches Wissen. Dazu gehört, zu sehen und zu hören, aber selbstverständlich auch, die Pflanzen zu riechen, zu schmecken, zu berühren. Wir möchten nicht, dass die Leute am Ende der Führung Informationen im Kopf haben, wir möchten lebendige, sinnliche Erfahrungen vermitteln, die in Erinnerung bleiben.
KT: Erzähl uns trotzdem noch etwas mehr darüber, wie ihr die Kultur Kataloniens anhand der Natur vermittelt..
EM: Ein einfaches und beeindruckendes Beispiel ist für mich Barcelona. Ich kann unseren Besuchern die Geschichte Barcelonas veranschaulichen, indem ich sie zum Montjuic führe. Barcelona ist erbaut aus den Steinen, die in unmittelbarer Nähe zu finden waren, in diesem Fall aus dem Gestein des Montjuic, einem Gebirge, das von innen praktisch hohl ist. Ohne den Montjuic sähe Barcelona ganz anders aus, denn die Stadt wäre aus anderem Stein gebaut. Um die Stadt zu bauen, brauchte man aber nicht nur Steine, sondern auch ein Mittel, um diese Steine zu transportieren.
Der Schlüssel zum Transport der Steine waren die Johannisbrotbäume, die in der Nähe wuchsen. Sie lieferten den Zugtieren energiereiche Nahrung, die den Transport der Steine in Hitze und Trockenheit erst möglich machten. Die Johannisbrotbäume sind perfekt angepasst an die Lebensbedingungen des Mittelmeerraumes, und sie wachsen an keinem anderen Ort der Welt. Sie haben eine ganz besondere Fähigkeit, derer sich fast niemand bewusst ist: sie kommen praktisch ohne Wasser aus. Genauso ist sich auch kaum einer der Tatsache bewusst, dass dann, wenn die meisten Touristen nach Barcelona kommen, die wichtigste Ressource, um Tourismus zu entwickeln, extrem knapp ist: Wasser. Wenn du im Mittelmeerraum in der Natur unterwegs bist, wirst du es sehen: Im Sommer gibt es hier vergleichsweise wenige Pflanzen. Die Steine des Montjuic hätten nicht in die Stadt transportiert werden können, ohne die Johannisbrotbäume. Diese spendeten Schatten und ihre zuckerreichen Früchte gaben den Zugtieren die nötige Energie.
KT: Klingt nach einer Geschichte über die intelligente und nachhaltige Nutzung von Ressourcen…
EM: Ja, die Natur kann uns mehr als jeder andere über Nachhaltigkeit lehren. Tatsächlich halte ich auch Seminare für Firmen über Nachhaltigkeit. Ich führe die Leute dann in eine mediterrane Landschaft und zeige ihnen, was die Pflanzen uns über Nachhaltigkeit lehren, wie man es vermeidet, Wasser zu verschwenden und wie man in einem von starker Konkurrenz geprägten Umfeld operiert. Für viele Dinge muss man gar nicht so viel Theorie wissen, sondern einfach nur mit offenen Augen in die Natur gehen und verstehen, wie sie funktioniert.
EM: Ja, und das ist eigentlich sehr naheliegend. Ich sage immer, dass wir den Menschen ein Material zeigen, welches das exakt gleiche Material ist, aus dem wir Menschen selbst bestehen. Unsere Zellen sind genau die gleichen, wie die aller anderen Lebewesen. Die Pflanzen haben Chlorophyll, wie haben Hämoglobin. Bis auf ein Molekül sind wir praktisch gleich. Und das ist für mich etwas ganz Grundlegendes: Wir können auf so viele verschiedene Arten empfinden: wir können riechen, schmecken, fühlen, hören, sehen. Als Naturführer sehe ich meine Aufgabe darin, genau darauf hinzuweisen, denn wir verlieren immer mehr den Kontakt zur Natur.
KT: Was meinst du damit konkret?
EM: Wir kennen die Namen aller möglichen Autos, aber nicht mehr die Namen der Pflanzen, die hinter unserem Haus wachsen. Besonders verrückt wird es für mich, wenn ich sehe, wie Familien mit Kindern einen „Ausflug in die Natur“ machen. Sie setzen sich ins Auto, drehen die Musik voll auf und sobald sie im Wald ein Stück Gras finden, fangen sie an, Fussball zu spielen. Sie reproduzieren draußen genau die gleichen Verhaltensweisen, die in der Stadt üblich sind. Ihnen fällt nicht auf, dass sie an einem Ort sind, der still ist und wo man etwas anderes tun könnte als das Radio aufzudrehen.
Andererseits denken die meisten Menschen, die Natur fange irgendwo weit, weit entfernt von der Stadt an. Das ist nicht wahr, und deshalb mache ich Naturführungen innerhalb der Städte. Wir sind überall von Natur umgeben und wir sind ein Teil von ihr. Wir müssen nicht weit weg fahren, um Natur zu erleben, sondern wir müssen achtsam mit dem umgehen, was uns umgibt. Deshalb tun wir, was wir können, um unsere Angebote so zu gestalten, dass die Leute unterwegs Spaß haben und dass sie an dem, was sie gelernt haben, auch im Alltag Freude haben.
KT: Dann nenn uns doch zum Abschluss noch ein paar Beispiele dafür, wie du das anstellst?
EM: Wir bieten in diesem Sommer zum Beispiel Kajak-Ausflüge an der Costa Brava an, bei denen die Teilnehmer essbare Pflanzen und Algen bei einem Ausflug zu den schönsten und ursprünglichsten Gebieten der Küste kennenlernen. Ein anderes Angebot findet im Montseny statt: Dort geht es um die Kräuter, die seit Jahrhunderten genutzt werden, um den beliebten Aperitif Ratafia zuzubereiten. Und dann haben wir noch unser Angebot „Ferien zwischen Kräutern und Wildblumen der katalanischen Pyrenäen“, bei denen unsere Gäste unterschiedliche Pyrenäenlandschaften, ihre Sitten und Bräuche sowie die Pflanzen und Kräuter und deren traditionelle Nutzung kennenlernen können.
Info und Buchung über:
Naturalwalks www.naturalwalks.com
info@naturalwalks.com
Tel: +34 662 251 059
+34 972 162 029
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