Wer sich schon einmal mit Aktivitäten rund um den Weintourismus in Katalonien beschäftigt hat, ist sicherlich mehr als einmal auf das Angebot der maridatges gestoßen. Doch was hat es mit diesen maridatges, für die wir im Deutschen keine adäquate Übersetzung haben, eigentlich auf sich? Wir haben Evarist March von Naturalwalks befragt. Der Experte für Botanik, Nachhaltigkeit und Ökotourismus ist gerade aus New York zurückgekehrt, wo er gemeinsam mit dem Team des Celler de Can Roca eine ganz besondere Form von maridatges in einem Workshop für Weinexperten präsentiert hat.
KT: Evarist, eine der Aktivitäten, die ihr bei Naturalwalks anbietet, sind maridatges entre flors, also maridatges zwischen Blumen. Könntest du uns zum Einstieg erklären, was genau eine maridatge eigentlich ist?
EM: Eine maridatge ist eine Degustation, die ein Getränk, in diesem Fall einen Wein, mit einem anderen Nahrungsmittel verbindet. Traditionell sind das zum Beispiel Käse oder Wurstwaren –wir kombinieren den Wein nun mit Wildblumen. Bei einer maridatge lenken wir unsere Aufmerksamkeit ganz bewusst auf das besondere Zusammenspiel der beiden unterschiedlichen Geschmäcker, die auf unterschiedliche Weise miteinander harmonieren.
KT: Wie kamst du auf die Idee, die Produkte einer herkömmlichen maridatge wie Käse oder Wurstwaren gerade durch Wildblumen zu ersetzen?
EM: Durch die Erfahrungen, die ich bei meiner Arbeit mit essbaren Pflanzen und Heilpflanzen sammeln konnte, habe ich bemerkt, dass die Blüten in vielerlei Hinsicht einen besonders subtilen Charakter haben; das betrifft die Textur, den Geschmack und die Aromen. In all diesen Aspekten sind die Blüten in der Regel sehr viel angenehmer als die übrigen Teile aromatischer Pflanzen. Man kann sie wirklich genießen und sehr viel mehr Nuancen wahrnehmen. Ich habe erkannt, dass sie sicherlich der liebenswürdigste Part der Natur in der Küche sind – und offensichtlich auch der schönste.
Diese Erkenntnis in Kombination mit meiner Arbeit im Celler de Can Roca und insbesondere mit Josep Roca, der ein wahrer Meister unter den Sommeliers ist, hat uns zu einer spannenden Feststellung geführt: Die Degustation von Blüten und Wein, bzw. die maridatge dieser beiden Elemente, ermöglicht es uns, den Ursprung des Geschmacks und die Aromen der Natur – also die Blüten – mit dem zu verbinden, was wir Kultur nennen: die Küche, die Gastronomie, die Welt der Weine und Liköre. Die Verbindung von Natur und Kultur zieht sich als roter Faden durch meine gesamte Arbeit.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Kultur eine Transformation der Natur ist. Wenn man diesen Gedanken auf die Gastronomie anwendet, ist der Wein eines der besten und aktuellsten Beispiele. Das wiederum liegt ganz auf einer Linie mit dem, was wir bei Naturalwalks machen: Wir bringen den Menschen über Erlebnisse in der Natur die Kultur eines Ortes näher, und der Wein ist zweifellos ein integraler Bestandteil unserer Kultur und unseres Charakters.
KT: Du belieferst die Küche des Celler de Can Roca, der schon zweimal in Folge zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde, mit Wildblumen. Diese werden nicht etwa zur Dekoration genutzt, sondern um dem Essen eine ganz besondere Note zu geben. Kannst du uns etwas über den Gebrauch von Blüten in der Küche erzählen?
EM: Zunächst einmal muss ich sagen, dass es ein riesiges Privileg ist, mit diesen absoluten Profis der Gastronomie zusammenzuarbeiten. Den Brüdern Roca liegt die Begeisterung für die Welt der Kulinarik im Blut, jedem in seinem Fachgebiet und mit seiner speziellen Sicht der Dinge.
Die Wildblumen haben in der Küche, so wie wir sie heute verstehen, noch keine lange Tradition. Selbstverständlich wurden die Blüten als der weichste Teil der Pflanzen seit jeher genutzt, aber heute hat ihre Anwendung eine neue Dimension bekommen. Wir essen heute so sehr „mit den Augen“ wie noch nie zuvor in der Geschichte der Küche. Unabhängig vom Ort oder der Art der Küche, sei es Raw Food oder Haute Cuisine, wird zunächst mit den Augen konsumiert. Da ist es natürlich naheliegend, dass Blüten heute eine ganz grundlegende Rolle spielen. Vor zehn Jahren noch war es undenkbar, auf dem Markt eine solche Bandbreite an Blüten zu finden, wie sie heute angeboten wird.
Katalonien ist in Bezug auf Wildpflanzen und insbesondere was Blumen betrifft, ein echtes Paradies. Im Laufe von 12 Monaten und im Radius von eineinhalb Stunden Fahrt findet man hier praktisch alle Pflanzenarten Europas, von der alpinen Flora bis zur rein mediterranen der Dünen und Felsklippen. Das bedeutet, wir können hier im Verlaufe eines Jahres alle Arten von Pflanzen finden.
KT: Was „machen“ die Pflanzen denn mit den Gerichten, weshalb legt man solchen Wert darauf?
EM: In der sogenannten „Haute Cuisine“ ist es heute schwierig, ein Gericht ohne Blüten zu finden. Sie geben einem Gericht nicht nur Farbe und eine schöne Optik, sondern auch feine Geschmacksnoten und interessante, sehr subtile Aromen, wenn sie mit verschiedenen Produkten kombiniert werden.
KT: Von der Optik einmal abgesehen, wodurch unterscheiden sich der Gebrauch von Blüten und Kräutern in der Küche?
EM: Der Begriff „Kräuter“ ist sehr allgemein und aus meiner Sicht auch nicht wirklich botanisch. Die Mehrheit der Kräuter, die wir in der Küche nutzen, sind nicht wirklich Kräuter, denn es handelt sich häufig um verholzende, relativ langlebige Strauchpflanzen wie Rosmarin oder Thymian. Kräuter und Blüten ähneln sich, weil beide eine kurze Lebsensdauer haben. Die Blüten sind der vitalste Teil der Pflanze. Sie wurden geschaffen, um in verschiedener Hinsicht attraktiv zu sein und bergen eine viel größere Komplexität als wir denken.
KT: Die Idee, maridatges mit Wein und Blüten zu machen, hat große Aufmerksamkeit erregt. Ihr seid eingeladen worden, in Madrid und New York Workshops zum Thema für Weinprofis zu halten. Kannst du uns sagen, weshalb diese Idee so viel Widerhall findet?
EM: Wir haben diese Aktivität vor einigen Monaten in Barcelona auf einem internationalen Kongress für Önotourismus präsentiert und haben damit unerwartet großen Erfolg gehabt. Im Anschluss hat uns das Patronat de Turisme Costa Prava-Pirineos eingeladen, diese Aktivität in Madrid zu präsentieren und in New York im Zusammenhang mit der Gala der 50 besten Restaurants der Welt. In diesem Fall bin ich mit Dani Martínez, dem Sommelier des Celler de Can Roca dort hingefahren. Wir haben zwei Präsentationen gehalten, eine für Weinexperten aus den Vereinigten Staaten, die andere für Premiumfirmen. Beide Präsentationen sind sehr gut angekommen, man hat uns zur Originalität und Ausgewogenheit der Aktivität gratuliert, und einige Reiseanbieter haben schon Kooperationen mit uns angefragt.
KT: Auf eurer Webpage bietet ihr maridatges entre flors an, die den Gaumen, die Pflanzen und die Geschichte einer Landschaft über den Wein miteinander verbinden. Das klingt faszinierend – könntest du uns etwas genauer erklären, um was genau es da geht?
EM: Ja, natürlich. Im Prinzip liegt das alles auf der gleichen Linie, über die ich schon vorhin gesprochen habe. Als Ökotourismus-Anbieter wollen wir den Besuchern die Landschaften Kataloniens in Verbindung mit der Kultur des Ortes näher bringen: Die Küche, die Welt des Weins, die Landschaft als Reflektion der Geschichte in der Natur und natürlich auch die Sitten und Bräuche des Ortes.
Deshalb kombinieren wir maridatges wann immer es möglich ist mit einem Spaziergang durch die Naturlandschaften des Ortes, oft in unmittelbarer Nähe der Bodegas. Wir möchten unseren Gästen die Möglichkeit geben, sich in diesem Terrain zu verorten. Deshalb zeigen wir ihnen ganz praktisch, wo genau auf der Landkarte wir uns befinden und wie wir anhand der Natur festmachen können, dass wir tatsächlich in genau diesem Winkel der Welt sind. Wir machen einen gemütlichen Spaziergang zu schönen Orten der Weinlandschaften und sammeln unterwegs einige Pflanzen und Blumen, die wir später bei der maridatge benutzen. Dann kehren wir zurück zum Ort, der für die maridatge vorbereitet ist. Das kann auf dem freien Feld sein oder in den Innen- oder Außenräumen einer Bodega, eines Hotels oder eines Restaurants – und dort widmen wir uns dann der maridatge. Wir verbinden dabei die Erde, die ursprüngliche Natur, mit einem Produkt, das mittels Zeit und Erfahrung modifiziert wurde, dem Wein!
Wir wissen heute besser als zu jedem anderen Zeitpunkt der Geschichte, dass man einen Wein nicht verstehen kann, ohne die Makro- und Mikrobedingungen der Erde zu kennen, in der seine Reben gewachsen sind. Der geschichtliche Prozess, in dessen Verlauf wir eine Pflanze – in diesem Fall die Rebe – an die Mikrobedingungen unterschiedlichster Orte angepasst haben, hat zu dem geführt, was ich als modifizierte Natur bezeichne. Mit zunehmendem Wissen und zunehmender Technologie haben wir das gleiche mit weiteren Prozessen gemacht, zum Beispiel mit Fermentierung und Konservierung, die wir bis zum momentanen Endresultat immer weiter verfeinert haben. Der Ursprung all dessen ist immer die Natur, und all diese Aspekte möchten wir dann am Tisch einer maridatge miteinander vereinigen. Die genuine Chemie der Wildpflanzen, der Ursprung, trifft auf den Saft von Früchten, die über die Jahrtausende verschiedenste Transformationen erfahren haben. Das ist eine Wiederbegegnung zwischen dem Ursprung und der Gegenwart vor dem Hintergrund besonderer Naturlandschaften. Salut!
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