Der April festigt den frisch angekommenen Frühling und fällt manchmal sogar zeitlich mit den Osterfeierlichkeiten und dem dazugehörenden Urlaub zusammen. Ein toller Monat für Viele — der in Katalonien aus kulturellen Gründen besonders beliebt ist! Denn alljährlich am 23. April verteilt der Ritter Sant Jordi von seinem Pferd aus Bücher und Rosen in der ganzen Region.
Zu diesem Anlass stellen wir in diesem Artikel einige empfehlenswerte Bücher katalanischer Autorinnen und Autoren vor, die auch auf Deutsch erhältlich sind. Dazu kommen ein paar literarische Routen sowie sehenswerte Orte, die eine Verbindung zu den Geschichten oder den Autoren haben.
Tourismus und Literatur für Gernleser und Katalonien-Fans!
Wie alles begann — Eine kurze Einführung
Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden mit den Predigttexten Homilíes d’Organyà, eine Übersetzung aus dem Okzitanischen, die ältesten erhaltenen literarischen Zeugnisse katalanischer Sprache. In Organyà befindet sich das kleine Museu de les Homilies d’Organyà, das neben acht weiteren Museen im Landkreis Alt Urgell die Ruta dels oficis d’ahir (Handwerk-Route) bildet. Außerdem bietet die Region tolle Wanderoptionen.
Noch im selben Jahrhundert wirkte der auf Mallorca geborene Ramon Llull. Philosoph und Revolutionär gleichermaßen, auch weil er neben dem üblichen Latein seine Muttersprache als Schriftsprache wählte und auf diese Weise die katalanische Literatur begründete. Sein bekanntestes Werk „Vom Freund und dem Geliebten“ (Benziger, 1998) gehört zu den wichtigsten mystischen Texten der europäischen Literatur.
Wer über Llull und sein Schaffen mehr erfahren möchte, der kann auf den Spuren des vielseitigen Mystikers in Katalonien wandeln: Die Route der Llullistischen Orte führt vom Herzen Barcelonas bis zum „heiligen Berg“ Montserrat.
Nach Llull ist übrigens das katalanische Äquivalent zum Goethe-Institut benannt: das Institut Ramon Llull.
Für die katalanische Literatur lief es im Mittelalter wirklich gut. Der Höhepunkt wurde im 15. Jahrhundert mit dem Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc (Fischer, 2007) erreicht, der wegen seines ungewöhnlich scharfen Realismus als Fundament der Geschichte des modernen Romans gilt.
Katalonien durch seine Literatur erkunden
Ab dem Jahr 2007 ist die Zahl der ins Deutsche übersetzen katalanischen Autoren zügig gewachsen. Ausschlaggebend dafür war die Teilnahme Kataloniens an der Frankfurter Buchmesse. Über 100 geladene Schriftstellerinnen und Schriftsteller präsentierten ihre Werke – und erweckten im deutschsprachigen Raum das Interesse für die katalanische Literatur.
Im Àssua-Tal, südlich des Nationalpark Aigüestortes, wird die Handlung von „Die Stimmen des Flusses“ (Suhrkamp, 2007) angesiedelt. Der berühmte Roman von Jaume Cabré, der Fiktion und Realität kombiniert, dreht sich um die schwierigen Jahren nach dem spanischen Bürgerkrieg, den die Faschisten gewonnen haben.
Die Dörfer und Landschaften, die Cabré für seinen Roman inspirierten, kann man heute auf mehreren Routen erkunden. Informationen dazu stehen Ihnen auf der Webseite des lokalen Fremdenverkehrsamtes zur Verfügung oder können per Mail unter turisme@pallarssobira.cat angefragt werden. Auch auf einem Esel kann das Àssua-Tal erkundet werden!
Nicht weit entfernt liegen das Dörfchen Escaló und die benachbarte Kirche Sant Pere del Burgal. Das romanische Gotteshaus aus dem 9. Jahrhundert spielt eine zentrale Rolle in „Das Schweigen des Sammlers“ (Insel Verlag, 2014), ein weiteres Erfolgsbuch von Cabré. Die drei ersten Seiten des Buches liest in diesem Video der Schauspieler Frank Stieren.
Katalonien als literarische Kulisse
Hört man Modernisme, denkt man sofort an Antoni Gaudí. Zu Recht – aber bei weitem nicht genug. Denn die katalanische Form des Jugendstils als Erneuerungsbewegung wirkte sich nicht nur auf die Architektur aus: Der Modernisme prägte auch die Musik und die Literatur.
Prudenci Bertrana, einer der prominentesten Vertreter dieser Literaturströmung, wohnte fast 40 Jahre lang in Girona. Dort ist Santa Maria, die breiteste einschiffig gebaute gotische Kathedrale der Welt, Schauplatz seines Romans „Josafat oder Unsere Liebe Frau von der Sünde“ (Freiraum-Verlag, 2013). Das Buch erzählt eine überraschende Geschichte des einfältigen und tief gläubigen Glöckners der Kathedrale.
Nachdem Sie den Roman gelesen haben, wird Sie eine Besichtigung des Gotteshauses (und der ganzen bunten Stadt am Fluss Onyar) mit Sicherheit besonders beeindrucken! Übrigens, auf der Plaça Catalunya steht eine Porträtbüste des beliebten Schriftstellers.
Auf einem Platz in Barcelona …
Viele Geschichten katalanischer Autoren entstehen in der Hauptstadt Kataloniens – wie etwa „Auf der Plaça del Diamant“ (Suhrkamp, 2007). Der berühmte Roman von Mercè Rodoreda porträtiert durch die Hauptfigur Colometa (Täubchen, wie ihr erster, autoritärer Ehemann sie nennt) das Barcelona vor und nach dem Bürgerkrieg, wobei der Konflikt an sich keine direkte Rolle spielt. Hier geht es nicht um Kampfhandlungen oder Eroberungen, sondern um 50 Jahre des Lebens der Protagonistin.
Den Platz (Plaça del Diamant) gibt es auch in Wirklichkeit, und zwar im beliebten Bezirk Gràcia. Dort steht eine Skulptur, die an Rodoredas literarische Tochter Colometa erinnert.
Die Stiftung Mercè Rodoreda bietet drei verschiedene „Rodoreda-Routen“ in der katalanischen Hauptstadt an, worüber Sie sich auch auf Deutsch informieren können.
Und am Rande bemerkt: 1992 wurde zwölf Meter unter der Plaça del Diamant ein Luftschutzraum entdeckt. Ob Colometa sich während des Krieges darin versteckte?
Rodoreda verfasste auch „Der Garten über dem Meer“ (Mare Verlag, 2014). Der Gärtner eines an der katalanischen Küste gelegenen Herrenhauses beobachtet sechs Sommer lang das Kommen und Gehen seiner vermögenden Eigentümer. Rosa Maria und Francesc empfangen ihre Freunde der Oberschicht aus Barcelona und feiern ausgelassen. Doch dem wachsamen Gärtner entgehen die Risse nicht, die das scheinbare Idyll bei jedem Besuch deutlicher zeichnen…
Über besondere Friedhöfe und urige Figuren
An einem Sommermorgen im Jahr 1945 wird Daniel Sempere von seinem Vater auf den Friedhof der Vergessenen Bücher geführt. Dort entdeckt der Junge einen Roman für sich, der sein Leben für immer verändern wird. Die Handlung des Buches „Der Schatten des Windes“ (Fischer Verlag) spielt in Barcelona: Das auf Spanisch verfasste Erfolgsbuch von Carlos Ruiz Zafón (Leseprobe) beschreibt die katalanische Hauptstadt in so detaillierter Art und Weise als wäre es quasi ein Reiseführer.
Apropos Reiseführer: Auf einer geführten Besichtigung kann man den Spuren der Romanfiguren folgen. Von der Kunsthalle Santa Mònica auf den Rambles über die Plaça Reial bis hin zur spektakulären Basilika Santa Maria del Mar – das und mehr zeigen die Fremdenführer von Icono Barcelona während des Spaziergangs.
Ganz anders tickt der Roman von Eduardo Mendoza „Nichts Neues von Gurb“ (Rowohlt Taschenbuch, 1996). Das erheiternde Tagebuch eines Außerirdischen, der im Barcelona des Jahres 1990 zwei Wochen lang nach seiner verloren gegangenen rechten Hand Gurb sucht und so Gelegenheit hat, Gebräuche und Gewohnheiten der Einheimischen kennenzulernen. Komische Fehlinterpretationen finden ununterbrochen statt!
Was die „Soldaten von Salamis“ betrifft (Fischer Verlag, 2017), so haben sowohl die Idee des erfolgreichen Buches von Javier Cercas als auch die Handlung direkt mit Girona und Umgebung zu tun (Leseprobe). Das Projekt entstand am Tisch eines berühmten Cafés in der Altstadt von Girona, Le Bistrot, welches auch im Buch erscheint. Das Heiligtum Santa Maria del Collell oder die Wälder von Palol de Revardit, alles rund um den Banyoles-See gelegen, sind ebenso Teil der Routen der Soldaten von Salamis, worüber Sie mehr Informationen über turisme@plaestany.cat erhalten.
Die Costa Brava als Inspirationsquelle
Dieser Artikel könnte fast ein Buch an sich sein. Denn es gibt hunderte von spannenden Geschichten katalanischer Autoren, die ins Deutsche übersetzt wurden – und auch viele geführte Touren, die diesen Geschichten nachgehen. So auch in der Region Empordà an der Costa Brava.
Dort wurde Josep Pla 1897 geboren. Der Schriftsteller und Journalist schrieb einige seiner ersten politischen Chroniken in Berlin, wo er 1923 bis 1925 als Korrespondent wirkte. Was sein literarisches Schaffen angeht, so beschreibt sein Meisterwerk „Das graue Heft“ (Suhrkamp, 2007) in Form eines Tagebuchs sowohl Barcelona, wo er studierte, als auch seine geliebte Heimat Palafrugell und die benachbarten Dörfer. In dieser herrlichen Umgebung schlägt die Josep Pla-Stiftung eine Route vor, die seinen Spuren folgt.
„Enge Straße“ (Ammann Verlag, 2007) oder „Die blauen Augen von Barcelona“ (Berenberg Verlag, 2005) sind ein paar weitere Romane Josep Plas, die auch in einer deutschen Version erhältlich sind.
Poetische Wanderungen im Landesinneren
Man kann auch das Landesinnere Kataloniens auf verschiedenen Routen erkunden, die über das Leben und Denken zweier fantastischer Dichter informieren. Mossèn Cinto Verdaguer galt als der wichtigste Vertreter des Renaixença, der kulturellen Bewegung, die sich im 19. Jahrhundert für die Wiederbelebung der katalanischen Kultur einsetzte. Seinerseits ist Miquel Martí i Pol der beliebteste Lyriker der Gegenwart.
Mehrere ihrer Bücher sind auf Deutsch übersetzt worden, wie etwa „Atlantis“ (Verlag Herder, 1911) von Verdaguer, das zehn Gesänge umfasst, oder das von Martí i Pol geschriebene „Buch der Einsamkeiten“ (Edition Delta, 2012). Dieses versah er mit einer Widmung für Pep Guardiola, den weltbekannten Fußballtrainer. Die beiden verband bis zum Tod des Dichters eine enge Freundschaft.
Sowohl Verdaguer als auch Martí i Pol sind unweit von Vic im Landkreis Osona geboren, wo ebenfalls literarische Routen angeboten werden. Dadurch können Interessierte die Orte aus erster Hand erkunden, die sowohl Verdaguer als auch Martí i Pol am Schreibtisch inspirierten.
Dieser literarisch–touristische Spaziergang durch Katalonien endet sozusagen mit einem virtuellen Tor des besten Fußballers der Welt: Leo Messi. Der Argentinier hat „Messi – Eine Stilkunde“ zwar nicht selber geschrieben, dient aber als Hauptakteur des Buches, das der Schriftsteller und FC Barcelona-Fan Jordi Puntí verfasst hat (Kunstmann Verlag, 2020). Eine Rezension dazu bietet hr2 Kultur. Eine „Messi-Route“ durch Barcelona gibt es zwar (noch) nicht, der FC Barcelona verfügt aber über ein Museum, das die Geschichte der Institution und seiner Legenden ausführlich präsentiert.
Albert Sanchez-Piñol („Pandona im Kongo“), Maria Barbal („Wie ein Stein im Geröll“), Carme Riera („Der englische Sommer“) oder Quim Monzó („Der Grund der Dinge„): Die Zahl katalanischer Autorinnen und Autoren, deren Werke auch auf Deutsch erschienen sind, ist wie schon erwähnt riesig. Über 350 Bücher finden Sie auf dieser Seite des Institut Ramon Llull (durch „Advanced Search“ einfach „Language: German“ eingeben und auf „Search“ klicken). E-Books oder Hörbücher stehen in vielen Fällen ebenfalls zur Verfügung.
Viel Vergnügen bei der literarischen Erkundung von Katalonien!
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