Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts herrschte Aufbruchsstimmung in Barcelona. Eng mit dem Modernisme, der katalanischen Ausprägung des Jugendstils, ging die katalanische Renaixença einher. Sprache und Kultur erlebten einen neuen Höhepunkt. Vor diesem Hintergrund machten sich in Barcelona Expeditionen auf den Weg, um eine Art Bestandsaufnahme des historischen Kulturerbes zu erstellen. Kaum jemand kam damals in die abgelegenen Dörfer der Pyrenäen hinauf. Die Wege waren nur schlecht oder gar nicht ausgebaut und die Täler nur schwer zu erreichen. Aber vermutlich war es gerade deshalb möglich, dass sich in dieser Abgeschiedenheit der Berge wahre Schätze versteckt halten konnten. Die Expeditionen der Intellektuellen, die sich damals auf den Weg gemacht hatten, fanden in den Pyrenäen erstaunlich gut erhaltene romanische Kirchen mit jahrhundertealten Wandmalereien.
Die Kirchen im Vall de Boí
Im Vall de Boí liegen gleich acht romanische Kirchen ganz nah beieinander, in einem kleinen Tal versammelt. Bei einer Tour durch die Dörfer Boí, Erill la Vall und Taüll warten jahrhundertealte Kunstschätze auf die Besucher.
Die Fassaden der Kirchen, die heute mit ihrem schlichtem Stein so hübsch rustikal wirken, muss man sich bunt bemalt vorstellen. Die kleinen Gotteshäuser waren farbenfrohe Bilderbücher, die den gläubigen Kirchgängern die Geschichten der Bibel erzählten. Nur die wenigsten Einwohner der Bergdörfer konnten im Mittelalter lesen und schreiben. Doch sie kannten die Symbole dieser Bilder, die ihnen zeigten, wie sie ein gutes gottesfürchtiges Leben zu führen hatten. Engel, Gaukler und Fabeltiere an den Wänden der Kirchen waren für die Menschen damals ein christlicher Leitfaden.
Viele dieser wertvollen Kunstschätze in den Bergdörfern wurden zu Beginn des letzten Jahrhunderts in das Nationale Kunstmuseum Kataloniens MNAC (Museu Nacional d’Art Catalunya) nach Barcelona gebracht. In den Kirchen Santa Eulàlia d’Erill la Vall, Sant Climent de Taüll und Santa Maria de Taüll hat man daher andere, ganz unterschiedliche Wege gefunden, um den Besuchern auch heute noch die Schönheit der alten romanischen Malereien zu zeigen.
L‘Esglesia Sant Víctor de Seurí
Nicht weit vom Vall de Boí entfernt, liegt das Vall d’Àssua . In dem malerischen kleinen Dörfchen Seurí gibt es eine ganz besondere Kirche romanischen Ursprungs zu bestaunen. Da die Esglesia Sant Víctor nur noch selten genutzt wurde und bereits zu verfallen drohte, kamen die Einwohner auf eine Idee.
Einem ehemaligen Nachbarsjungen, von dem sie wussten, dass aus ihm ein Maler geworden ist, schlugen sie vor, ihre Kirche neu zu gestalten. Bei diesem Jungen aus dem Dorf handelte es sich um niemand anderen, als Santi Moix, den international anerkannten Künstler mit Wohnsitz in New York. Der nahm diese unerwartete Herausforderung schließlich an und entwarf ein Projekt, das die kontemporäre Kunstszene New Yorks mit dem Leben in der Naturlandschaft des Vall d’Àssua vereinen sollte.
Schon der erste Eindruck ist umwerfend im wahrsten Sinne des Wortes. Bunte Bilder strömen mit Macht auf den Besucher ein. Die Kraft der Farben ist körperlich spürbar. So ähnlich müssen die Menschen den Besuch einer Kirche in frühen Jahrhunderten erlebt haben.
Der nächtliche Sternenhimmel, die Tiere und Pflanzen, sogar Licht und Wasser finden sich an den Wänden wieder. Neben christlichen Motiven wie einem Paulus, der die Säule der Kirche darstellt und den vier Evangelisten, sind es vor allem Szenen, die das Leben im Tal zeigen. An der Wand hinter dem schlichten Altar prangt kein Kreuz, sondern eine riesige bunte Blume. Auf den ersten Blick scheint sie leicht wie aus Papier. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die aus Keramik gefertigte Blüte an die dreihundert Kilogramm wiegt.
Museu del Pastor
Einen ganz anderen Einblick in das Leben im Tal gibt das kleine Museum, das den Hirten des Vall d’Àssua gewidmet ist. Liebevoll erklärt die Ausstellung in Bildern, mit Schautafeln und alten Werkzeugen, wie die Arbeit der Schafhirten früher und heute funktionierte.
Man erfährt von den Vogelarten, den vielen Geiern und Tieren wie dem Pyrenäen-Desman, einer Art schwimmender Maulwurf, die hier im Tal zu Hause sind. Wer will, kann alte Volkslieder anhören oder Legenden und Gedichte aus und über das Vall d’Àssua lesen.
In einem kleinen Film kommen auch echte Hirten zu Wort, und berichten von ihrem Glück aber auch von den Sorgen. Als Guide führt sogar einer der Hirten die Besucher durch die Ausstellung. Er erklärt, was die einzelnen Symbole bei der Markierung der Tiere bedeuten und wieso die Wolle heute kaum noch Verwendung findet.
Das Museum der Freiheit
Während des Zweiten Weltkriegs mussten viele Menschen aus Deutschland und dem besetzten Frankreich fliehen. Heimlich wurden Juden, Widerstandskämpfer oder auch Piloten der alliierten Streitkräfte über die Grenze nach Spanien geschmuggelt. Franco verfolgte zu dieser Zeit ganz eigene Ziele. Zu Beginn des Krieges versuchte er noch, mit Hitler und Mussolini zusammenzuarbeiten und übergab die Festgenommenen der Gestapo. Später änderte er seine Taktik und versuchte sich bei den Alliierten in einem guten Licht darzustellen, indem er die in Spanien aufgegriffenen Flüchtlinge nach Kanada oder in die USA ausreisen ließ.
In Sort berichtet ein kleines Museum von den gefährlichen Fluchtwegen über die Pyrenäen und von den unterschiedlichen Schicksalen der Menschen. Das heutige Museum befindet sich in einer winzigen ehemaligen Kirche, die zwischen 1939 und 44 als Gefängnis für die Flüchtlinge diente. Hier warteten sie darauf, dass über ihr Schicksal entschieden wurde, ob sie ausreisen konnten oder ob sie zurückgeschickt wurden.
Ein sehr beeindruckendes kleines Museum, das einen ganz anderen Blick auf die Geschichte des Tals wirft.
Maßgeschneiderte Routen, bei denen die Kultur und Natur der Bergwelt erlebbar wird, finden Sie hier. Bestimmen Sie selbst den Schwerpunkt Ihrer Reise in die Bergwelt und lassen Sie sich von echten Locals in ihre Geschichte entführen.
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