Für Wanderer und Radfahrer gibt es im Parc Fluvial viele markierte Wege. Ferner kann man die mannigfaltigen Aspekte von Natur und Industriekultur des Ortes auch auf Autorouten erkunden. So gibt es zum Beispiel einen Weg zu den Quellen der Region und für Outdoor-Aktive die Möglichkeit zum Klettern oder Canyoning. Wer sich ein umfassendes Bild vom Leben in den Textilkolonien machen möchte, für den ist die Route von Viladomiu Nou nach L’Ametlla de Merola perfekt. Sie führt übrigens auch über Cal Pons und Cal Vidal. Wer hier mit einem Guide unterwegs ist, kann sich ein genaues Bild vom Leben der Arbeiter, aber auch vom Leben der Fabrikbesitzer machen.
Die Colonia de Viladomiu Nou
Die Kolonie Viladomiu Nou in Gironella geht zurück auf eine alt eingesessene Familie des Berguedà. Diese war bereits im Jahr 1868 mit einer ersten Kolonie in das Textilgeschäft am Llobregat eingestiegen. Viladomiu Nou ist ein 1880 entstandener Ableger jener ersten Kolonie, Viladomiu Vell. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Fabrik noch einmal vergrößert. Im Zuge dieses Ausbaus wurde auch zusätzlicher Wohnraum geschaffen. Während des Bürgerkrieges wurde Viladomiu Nou kollektiviert. Nach Ende des Krieges ging die Fabrik dann aber doch wieder in den Besitz der Familie Viladomiu über und war noch bis 1991 in Betrieb. Die Kolonie ist bis heute noch von ehemaligen Arbeitern bewohnt, welche die ursprüngliche Atmosphäre und Lebensform des Ortes lebendig halten. Die Fabrik hat übrigens einen neuen Besitzer gefunden und ist inzwischen wieder in Betrieb.
Arbeiterhäuser in Viladomiu Nou © Imagen M.A.S.
Das Interpretationszentrum im Torre de l’Amo
Für Besucher ist die Textilkolonie Viladomiu Nou mit ihrem Interpretationszentrum im Torre de l’Amo der perfekte Startpunkt für eine Reise in die Vergangenheit. Die Besitzer der Textilfabriken waren die Reichsten der Reichen jener Epoche. Ihr oberhalb der Fabrik gelegenes Wohnhaus war Symbol von Reichtum und Macht der Familie. 1902 fertig gestellt, vermittelt das herrschaftliche Haus mit seinem Interpretationszentrum den heutigen Besuchern eindrucksvoll, was es bedeutete, vor 100 Jahren eine Textilfabrik zu leiten.
Vom hiesigen Aussichtspunkt bietet sich nicht nur ein überragender Blick über die gesamte Kolonie, sondern auch auf die Schönheit der nahegelegenen Pyrenäenvorläufer. Eine weitere Ausstellung im Haus führt die Besucher in den Fabrikalltag und das Leben der Arbeiter ein. Weitere Sehenswürdigkeiten sind die zwischen 1900 und 1951 erbauten Arbeiterhäuser und die 1905 eingeweihte Kirche. Ferner ist der ehemalige Kindergarten sehenswert. Er wurde 1943 umgebaut, um eine Nonnengemeinschaft aufzunehmen. Weitere Sehenswürdigkeiten sind die Jungenschule, die Mädchenschule und insbesondere das Theater-Kino. Es bot Platz für 426 Besucher, wird aber aufgrund eines Brandes in den 90er Jahren heute nicht mehr benutzt
Das Herrenhaus von Viladomiu Nou ist heute ein Interpretationszentrum © Imagen M.A.S.
Die Colònia Pons
Wenige Kilometer weiter in Puig-Reig am Llobregat befindet sich Cal Pons. Die 1875 errichtete Anlage ist eines der besten Beispiele für den Mikrokosmos Textilkolonie. Neben der Fabrik und den Arbeiterwohnungen ist auch die Schule, ein Garten, Lebensmittelgeschäft und Bäckerei, ein Café und ein Wirtshaus erhalten. Überdies gibt es auch auch eine Kirche und ein Nonnenkloster. Die aufwendig ausgestattete Kirche, die von der damaligen Presse als “Kathedrale des Alt Berguedà” bezeichnet wurde, enthält auch das Familiengrab der Familie Pons. Diese hatte in der Kolonie gleich zwei herrschaftliche Residenzen erbaut . Die neue torre de l’amo aus dem dem Jahr 1897 nimmt einen Raum von 442m2 ein und hatte im Jahr 1908 die Ehre, den König von Spanien, Alfonso XIII zu beherbergen.
Im Interpretationszentrum der Kirche von Cal Pons geben drei Museumsräume detaillierte Auskunft darüber, welche Rolle die Kirche im System der Industriekolonien Kataloniens gespielt hat.
Die Kirche der Colònia Pons © Imagen M.A.S.
Die Colònia Vidal
Ebenfalls in Puig-Reig liegt die Colònia Vidal, vermutlich die bekannteste Textilkolonie im Parc Fluvial del Llobregat. Sie war die letzte Kolonie, die im Jahr 1900 im Berguedà eröffnet wurde und bietet Besuchern ein interessantes Besichtigungsprogramm. Dessen Schwerpunkt liegt auf den technischen Aspekten der Textilindustrie. Die Schleuse, der Kanal und die Turbinen sind hier besonders eindrucksvoll. Gleiches gilt für die alte Dampfmaschine. Wer im Inneren der Fabrik interessiert auf die alten Werkzeuge und die Webstühle schaut und den Erklärungen zur Webtechnik lauscht, wird hier eine Menge über die Stoffproduktion lernen.
Die Colònia de Vidal bietet jedoch nicht nur tiefe Einblicke in die Arbeit in der Fabrik, sondern auch in das Leben der Arbeiter. Hier kann man eine Arbeiterwohnung besichtigen, außerdem die Schule und die Bibliothek. 1947 wurde in der Colònia Vidal eine Miniaturkopie des Gran Teatre del Liceu in Barcelona erbaut, von der aufgrund eines Brandes jedoch leider nur Ruinen übrig sind. Am Eingang der Kolonie befindet sich das Museu de la Colònia Vidal, das geführte Besichtigungen anbietet. Die alte Bahnstation des Ortes ist heute der Sitz der Tourismusinformation. Sie fungiert sozusagen als Tor zu den Textilkolonien des Llobregat.
Webstühle in der Textilfabrik der Colònia Vidal 1 © Servicios Editoriales Georama
Die Colònia L’Ametlla de Merola
Die Kolonie L’Ametlla de Merola unterscheidet sich rein optisch von anderen Kolonien des Berguedà durch ihren “dörflichen” Charakter. Der Wohnbereich der Arbeiter bestand vor allem aus kleinen, weißgetünchten Einfamilienhäusern. Sie waren aufgereiht in langen Straßen, welche den Kirchplatz, den Marktplatz und den Platz des Theaters umgaben. Die Archtitektur der Arbeiterhäuser erinnert an die alten Fischerhäuser im Maresme, jener Region aus welcher der Gründer der Kolonie, Mateu Serra ursprünglich stammte. Die Textilfabrik von L’Ametlla de Merola arbeitete sehr erfolgreich und nahm stetig an Größe zu. Im Jahr 1913 erstreckte sich die 1864 erbaute Kolonie bereits über eine Fläche von 98.577m2.
Diese Entwicklung ging nicht ohne Konflikte von statten. Eine Protestwelle, die sich über mehrere Kolonien des Berguedà erstreckte, führte zur Entlassung von 200 Arbeitern. Im Anschluss kam es zur Implementierung weiterer Kontrollmaßnahmen. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Pfarrer der Kolonie. Er fungierte als das wachende Auge des Besitzers einerseits und als Vermittler für die Bedürfnisse der Arbeiter andererseits. Somit hatte er die Rolle eines Hüters des paternalistischen Lebensmodells inne.
Blick über die geschichtsträchtige Colònia L’Ametlla de mar © J.Cano DiBa
Dieses gewährte den Arbeitern Wohnraum, gute Infrastrukturen, Stabilität und Schutz. Im Gegenzug forderte es Fleiß, Gehorsam und Einhaltung des „sozialen Friedens“ gefordert. Die Hauptsehenswürdigkeiten der Kolonie sind das 1902 erbaute Theater, in dem noch heute die traditionellen Pastorets de L’Ametlla de Merola aufgeführt werden, die 1882 erbaute Kirche, das Café, welches einst das Zentrum des sozialen Lebens der Kolonie bildete und die hier besonders reizvolle Flusslandschaft des mäandernden Llobregat mit artenreicher Ufervegetation, Gärten, Feldern, Wäldern.
Die Colònia Rosal
Die Textilkolonie Rosal ist zwar nicht Teil der Route des Parc Fluvial del Llobregat, aber dennoch aus mehreren Gründen bemerkenswert. Erstens ist sie die erste Textilkolonie, die im Berguedà gegründet wurde, zweitens war sie eine der größten, in der zeitweise bis zu 1200 Arbeiter lebten. Drittens war die Familie Rosal, welche die Kolonie gegründet hatte, ganz entscheidend daran beteiligt, dass der Landkreis einen Eisenbahnanschluss erhielt. Cal Rosal hatte ab 1887 eine eigene Bahnstation, was aus logistischen Gründen unerlässlich war, jedoch auch der Region als ganzer sehr zu gute kam. Als die Colònia Rosal in den 90er-Jahren ihre Tore schloss, galt der Untergang der im Berguedà so traditionsreichen Textilindustrie als definitiv besiegelt.
Colònia tèxtil de Cal Rosal. © Turismo Verde S.L.
Weitere Infos zur Route der Textilkolonien im Berguedà gibt es hier.
Tipp:
Die Colònia Güell in Santa Coloma de Cervelló ist von Barcelona aus in 20 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und bietet nicht nur Einblicke in die Industriekultur der Epoche, sie beherbergt auch eines der interessantesten Gebäude des Modernismus. In der Krypta der Colònia Güell experimentierte Antoni Gaudí mit all Techniken, Formen und dekorativen Elementen, die schließlich Eingang in sein unvollendetes Meisterwerk, die Sagrada Familia finden sollten. Seit 2005 trägt das faszinierende Gebäude inmitten der Industriekolonie den Status Unesco-Welterbe.
Weitere Infos gibt es hier.
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