Wenn Sie Ihren Todestag gerne in guter Gesellschaft feiern möchten, dann wäre der 23. April zweifellos ein geeignetes Datum. An einem 23. April gingen nicht nur der katalanische Nationalheilige und „Drachentöter“ Sant Jordi, sondern auch zwei Giganten der abendländischen Literatur von uns. Aber natürlich möchten wir Ihnen hier nicht nahelegen, den drei Berühmtheiten nachzufolgen, sondern mit uns zu feiern: Den Tag der Liebenden, den Tag der Literatur und natürlich den Tag des unvergesslichen Sant Jordi. Wie das alles zusammenhängt, erfahren Sie hier…
Bald ist es wieder so weit. Zur Diada de Sant Jordi füllen sich die Straßen Barcelonas mit Blumen und Büchern, mit frisch Verliebten, Literaten und Buchliebhabern. Die Stadt feiert den romantischsten aller katalanischen Feiertage, zelebriert die Liebe zum Buch und lädt ein, lokalen und internationalen Helden der Literatur auf ausgesuchten Routen durch die Stadt zu folgen. Das Programm enthält Leckerbissen für unterschiedlichste literarische Geschmäcker. Doch bevor wir näher darauf eingehen, sei an dieser Stelle noch einmal kurz daran erinnert, weshalb Liebe, Literatur und der Nationalheilige Sant Jordi am 23. April in Katalonien ein so unzertrennliches Dreiergespann bilden…
Am 23. April kam es zu einer schicksalhaften Häufung bemerkenswerter Ereignisse, die eng miteinander verknüpft sind und dem Frühlingsfest Diada de Sant Jordi seine ganz einzigartige Form gaben. Hier eine kurze Darstellung der frappierenden Details:
1.) Der Traum der Blumenhändler oder „Die Legende von Sant Jordi“
Am 23.4.303 stirbt der Ritter Sant Jordi im Nahen Osten den Märtyrertod. Bevor es so weit kam, hatte er gerade noch rechtzeitig das katalanische Dorf Montblanc erreicht, um eine schöne Prinzessin vor einem Drachen zu retten, der seit Jahren immer neue Menschenopfer forderte. Als Sant Jordi dem Ungeheuer seine Lanze ins Herz stieß, schoss ein Blutschwall zur Erde, aus dem sofort ein wunderschöner Rosenbaum wuchs. St. Jordi schenkte der Prinzessin eine Rose, lehnte eine Hochzeit dankend ab und ritt seiner letzten Bestimmung entgegen.
Aus diesem Grund werden schon seit dem 15. Jahrhundert in Katalonien am 23. April Rosenfeste zu Ehren der Liebenden gefeiert. Und so ist es auch heute noch Brauch, seiner Liebsten an diesem Tag Rosen zu schenken. Das freut natürlich nicht nur die Liebste, sondern auch die Blumenhändler. Am 23. April füllen zahllose Menschen und zahllose Blumenstände die Straßen. Doch ein entscheidendes Detail fehlt noch. Denn an diesem Tag gehen Liebe und Literatur eine geheimnisvolle Liaison ein. Eine Tatsache, die sich letztlich unter anderem einer besonderen Form europäischer Uneinigkeit verdankt.
2.) Konkurrierende Kalender und „Der Tod der Dichter“
Am 23.4.1616 starb Miguel de Cervantes Saavedra. 10 Tage später starb William Shakespeare ebenfalls am 23.4.1616. Wie sowas möglich ist? Knapp 400 Jahre, bevor die Einzelheiten des europäischen Zusammenlebens durch rund 21.000 EU-Verordnungen und Richtlinien geregelt wurden, kam es gelegentlich auch auf den grundlegendsten Ebenen zu Unregelmäßigkeiten: Als Shakespeare starb, galt in Großbritannien noch der Julianische Kalender, während sich in Spanien bereits der Gregorianische Kalender etabliert hatte.
3.) Der Tag der Liebenden als Welttag des Buches
Sei’s drum, ebenso wie Sant Jordi starben die beiden Giganten der europäischen Literatur an einem 23. April. Natürlich waren die Katalanen die ersten, denen dieses erstaunliche Zusammentreffen ins Auge fiel. Sie ernannten den 23. April zum Tag des Buches, eine Anregung, die sie später an die UNESCO weitergaben, weshalb der 23. April seit 1995 der Welttag des Buches ist. Dieser wird allerdings nirgendwo mit so viel Enthusiasmus begangen wie in Katalonien. So ist das klassische Geschenk der Frau für den Mann am Tag der Liebenden ein Buch und die Straßen füllen sich am 23. April mit ebenso vielen Bücher- wie Blumenständen. Und das ist erst der Anfang, denn an diesem Tag erobert die Literatur die Straßen und von dort aus die Herzen ihrer Bewohner und Besucher.
Die Diada de Sant Jordi in Barcelona
Wie so oft nimmt Barcelona auch im Rahmen der Feierlichkeiten der Diada de Sant Jordi eine Sonderrolle ein. Kein Wunder schließlich ist der selbstlose Ritter hier allgegenwärtig. Als Nationalheiliger ziert er zum Beispiel die Fassade des Palau de la Generalitat im Gotischen Viertel, in der märchenhaften Casa de les Punxes verrät eine audiovisuelle Installation faszinierende Details über die Heiligenlegende und die Casa Batlló, Gaudís architektonische Hommage an den Drachen und dessen Bezwinger, trägt nicht umsonst den Beinamen „das Drachenhaus“. Zur Feier der Diada de Sant Jordi wird dessen Fassade mit Rosen bedeckt sein und im Inneren wird es Blütenblätter regnen. Um alle Elemente der Legende in die Gegenwart zu transportieren, wird es auf der Straße außerdem eine solidarische Blutspende-Aktion geben.
Nicht nur Sant Jordi, auch die Literatur ist in Barcelona allgegenwärtig. Am 23. April zieht sie hinaus auf die Straßen – und das nicht nur in Form von Bücherständen. Leidenschaftlich Lesende haben an diesem Tag auch die Gelegenheit, ihre liebsten Bücher von deren Autoren signieren zu lassen und es gibt in vielen Vierteln der Stadt ein breitgefächertes literarisches Programm. Das Zentrum der Feierlichkeiten liegt im Umkreis des Passeig de Gràcia, Rambla Catalunya und La Rambla.
Wer noch tiefer in die Erinnerungen, Geschichten und Fantasien des literarischen Barcelona eintauchen möchte, dem seien die Routen auf den Spuren großer Schriftsteller und Romanhelden ans Herz gelegt.
Das Gotische Viertel auf den Spuren von Cervantes und Don Quixote
Miguel de Cervantes ist nicht nur eine der Referenzfiguren der Diada de Sant Jordi, er ist auch der Protagonist einer literarischen Route durch das Gotische Viertel von Barcelona. Diese beginnt an der Kathedrale, welche die Statue des Christus von Lepanto beherbergt. Bei der Seeschlacht von Lepanto im Jahr 1571, in welcher die christlichen Mittelmeermächte als „Heilige Liga“ das Osmanische Reich bekämpften, war diese Skulptur der Legende nach zugegen. Darüber hinaus war auch der junge und kampfeslustige Miguel de Cervantes zugegen, der als einfacher Soldat in der Schlacht kämpfte und dabei zwei Schusswunden in der Brust und eine dauerhaft entstellte linke Hand davontrug. Die rechte, mit der er schrieb, blieb – dem Himmel sei Dank – verschont.
Und so schenkte der reifer gewordene Haudegen Cervantes der Welt nicht nur den ersten modernen Roman, sondern auch einige literarische Gestalten, die eine Entsprechung im realen Leben hatten. Zu diesen gehört zum Beispiel jener berühmte Bandit, nach dem die nahe der Kathedrale gelegene Allee Perot lo Lladre benannt ist, den Cervantes in Roque Guinart umbenannt hat. Nächster spannender Punkt auf dieser Route ist die auf Cervantes-Literatur spezialisierte Biblioteca de Catalunya.
Weiter geht es zum Schifffahrtsmuseum von Barcelona an den ehemaligen Königlichen Schiffswerften. Hier ist die Galeere zu sehen, die während der Schlacht von Lepanto vom Oberbefehlshaber der Heiligen Liga, Juan de Austria kommandiert wurde. Ganz in der Nähe, am Ende der Rambla hinter dem Columbus-Denkmal, liegt das Gebäude Passeig de Colon, 2, in dessen dritter Etage der Legende nach Cervantes gelebt hat. Der Spaziergang endet am Gebäude der Facultat de Nàutica. Von hier aus eröffnet sich der Blick auf das Meer, das Don Quijote in Barcelona zum ersten Mal sah und auf jenen Strand, an dem der Ritter vom weißen Mond unseren weltberühmten Ritter von der traurigen Gestalt vom Pferd stieß.
George Orwells Barcelona
Die zweite literarische Route startet mitten im Zentrum Barcelonas und ist einem der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gewidmet: George Orwell.
Wer an Orwell denkt, denkt wohl zunächst an dessen berühmte Dystopien Farm der Tiere und 1984. Sein Buch Mein Katalonien dokumentiert hingegen die Realität jenes Krieges, die er im Barcelona des Jahres 1936 erlebte. Angereist als Journalist und Kriegsberichterstatter, wurde Orwell schon bald von den Wogen der Revolution mitgerissen und schloss sich einer antifaschistischen Miliz an, um im republikanischen Lager zu kämpfen. Mein Katalonien verarbeitet seine „von innen heraus gewonnenen“ Einblicke in das damalige Kriegsgeschehen. Die Route durch Barcelona auf den Spuren George Orwells führt zu jenen Orten, die in diesem Zusammenhang besonders bedeutsam waren:
Die Route beginnt an der Plaça Catalunya. Hier hatte die Kommunistische Partei damals ihr Hauptquartier im Hotel Colón (das heute nicht mehr existiert), während der Hauptsitz der Anarchistischen Vereinigung CNT im Telefónica Gebäude lag. Von hier aus führt der Weg zum Hotel Continental, in dem Orwell damals untergebracht war. Es war gerade von der lokalen Regierung entprivatisiert worden und Orwell notierte erstaunt „Es war das erste Mal, dass ich in einer Stadt war, in der die Arbeiterklasse das Sagen hatte.“
Kurz dahinter liegt das Hotel Rivoli mit der Hausnummer 128, damals Hauptquartier der Marxistischen Partei (POUM). Orwell gehörte zu den Männern, die damals zur Verteidigung des POUM-Sitzes am Theater Poliorama postiert waren. Auch das in diesem Zusammenhang von Orwell erwähnte, nebenan gelegene Café Moka existiert – in stark modernisierter Forme – noch heute. Wenn man von hier aus in Richtung Raval weiterläuft, erreicht man schließlich die Plaça George Orwell.
„Die Stadt der Wunder“ und mehr: Der Südwesten Barcelonas
Eine weitere empfehlenswerte Route verläuft durch zwei Viertel im Südwesten der Stadt. Die Plaça Santa Madrona im Poble Sec bildet das Setting einer Kurzgeschichte des bekannten Barceloneser Autors Quim Monzó, am Hügel des Montjuïc porträtierte Juli Vallmitjana das „Zigeunerleben“. Auch Eduardo Mendozas Roman Stadt der Wunder nimmt diese Ecke der Stadt ganz genau unter die Lupe. Folgen Sie den Spuren des Protagonisten Onofre Bouvila, der sich vom armen Jungen vom Lande zum reichsten Mann Spaniens aufschwingt, und erkunden Sie zum Beispiel den Parc de la Ciutadella. Hier, wo einst eine militärische Festung stand, befinden sich heute das katalanische Parlament und der Zoo.
Weiter geht es zur Plaça Espanya und weiter über die Avinguda Reina Maria Cristina zum Palau Nacional, in dem das Museu Nacional d’Art Catalunya untergebracht ist. Von hier aus bietet sich ein unglaublicher Panoramablick. Wer den Handlungsverlauf von Mendozas Roman Stadt der Wunder vor Augen hat, der den Wandel der Stadt zwischen 1888 und 1929 nachzeichnet, wird mit besonderem Interesse auf diesen eigens für die Weltausstellung 1929 errichteten Teil der Stadt schauen. Der beste Ort, um diese literarische Route zu beenden, ist natürlich die Festung am Montjuïc.
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