Das Amphitheater von Tarragona ist Teil des ehrwürdigen „Archäologischen Ensembles von Tarraco“, das seit dem Jahr 2000 als Unesco-Weltkulturerbe unter Schutz steht. Könnten die alten römischen Mauern sprechen, sie hätten Geschichten zu erzählen, die einigen Besuchern die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Andere würden dem Flüstern der alten Steine mit amüsiertem Lächeln lauschen und kopfschüttelnd feststellen, dass die Menschheit sich in den letzten 2000 Jahren nur wenig verändert hat. Machen wir uns auf zu einer Reise in die Antike…
Die Vergangenheit ruht nicht
Um 200 v. Chr. begannen die Römer die Iberische Halbinsel von Nordwesten aus zu erobern. Das damals von Iberern besiedelte Stadtgebiet Tarragonas machten sie unter dem Namen „Tarraco“ zur Provinzhauptstadt der sogenannten Hispania Citerior. Leben und Handel in der Stadt blühten und schon bald stand Tarraco im Ruf, das „Rom der Iberischen Halbinsel“ zu sein. Bis heute hat die römische Vergangenheit Tarragonas immensen Einfluss auf das Leben in der Stadt. Das beginnt mit der Tatsache, dass Bauarbeiten im städtischen Raum regelmäßig unterbrochen werden müssen, weil man wieder einmal unverhofft auf archäologisch hochinteressante Reste der alten römischen Stadt gestoßen ist. Das setzt sich fort im Erstaunen, das man empfindet, wenn sich zum Beispiel die Mauern einer Pizzeria in der Altstadt als Tribüne des antiken „Circus“ erweisen. Den Gipfelpunkt geschichtlicher Faszination bilden für viele Besucher der Stadt Festivals wie Tarraco Viva und Història Viva, bei denen die Tarragonenser den römischen Alltag originalgetreu in Szene setzen. Für solche „Reenactment-Veranstaltungen“ bildet das antike Amphitheater selbstverständlich eine Bilderbuchkulisse.
Ein Blick auf das Amphitheater von Tarraco
Der direkt am Meer gelegene, ovale Bau mit aus dem Fels gehauenen Stufen stammt aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Auf der einer Seite des Theaters befanden sich die Bühne (podium) und die darunter liegenden sogenannten fossae, unterirdische Räume, in denen sich Gladiatoren und Tiere vor ihrem „Auftritt“ einfanden. Von hier aus transportierte sie ein Lastenaufzug nach oben in die Arena. Auf einem Raum von 130mx102m harrten dann bis zu 15.000 Besucher des Theaters der Dinge, die da kommen würden. Die Sitzgelegenheiten auf den Stufen waren in drei, durch Mauern getrennte, Abschnitte unterteilt, in denen die unterschiedlichen sozialen Schichten separiert voneinander saßen.
Ursprünglich befand sich hier einmal ein Friedhof. Jahrhunderte später, als das römische Tarraco nur noch eine ferne Erinnerung war, bildete das antike Amphitheater den größten Steinbruch der Stadt, an dem die Bürger sich reichlich mit Baumaterial für ihre Häuser bedienten. Zwischen diesen Epochen, in denen im wahrsten Sinne des Wortes alle Größe zu Staub zerfiel, erlebte Tarracos Theater eine Zeit das Glanzes, oder zumindest eine Epoche mit hochemotionalen Ereignissen unterschiedlicher Art.
Ein Blick hinter die Kulissen der Geschichte
Um diesen auf die Spur zu kommen, müssen heutige Besucher ein wenig an der Oberfläche kratzen. So finden sich hier zum Beispiel zahlreiche Fragmente einer monumentalen Inschrift von 140m Länge, die im 3. Jahrhundert n. Chr. am Podium angebracht wurde. Diese erinnert an Umbauarbeiten, die in jenem kurzen Zeitraum durchgeführt wurden, als der blutjunge Elagabal in Rom herrschte. Der 218 n.Chr mit 14 Jahren an die Macht gekommene Kaiser machte sich innerhalb von nur vier Jahren so unbeliebt, dass er bereits mit 18 von meuternden Soldaten ermordet wurde. Mit religiösen Praktiken, die dem antiken Rom der reine Frevel schienen und sexuellen Gewohnheiten, die skandalös genug waren, um auch Jahrhunderte später noch das Interesse von Künstlern, Literaten und Historikern zu wecken, ging Elagabal als Sinnbild für Lasterhaftigkeit und Dekadenz der römischen Kaiserzeit in die Geschichte ein.
Die Unruhen um Elagabal waren jedoch nur die Vorboten einer politischen Krise des Römischen Reiches, das im 3. Jahrhundert einer verstärkten Bedrohung von außen ausgesetzt war und gleichzeitig mit erheblichen Problemen im Inneren zu kämpfen hatte. Von 235 – 285 n.Chr. regierten die sogenannten Soldatenkaiser, die ihre Macht in weiten Teilen den von ihnen befehligten Truppen verdankten, während der Senat zusehends an Einfluss verlor. Die Kaiser jener Epoche lösten sich in schneller Reihenfolge ab und viele von ihnen regierten nur einige Monate.
Menschen, Tiere, Sensationen
In diese Epoche politischer Unsicherheit fällt die Blütezeit des Amphitheaters, das die Bürger Tarragonas mit allerlei unterhaltsamen Veranstaltungen lockte. Zu diesen zählten vor allem Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen (sog. venationes). Gladiatorenkämpfe wurden in Rom bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. populär. Ursprünglich waren sie eine Form, der Toten zu gedenken, deren Mut, Kraft, Tapferkeit und Gleichmut gegenüber dem Tod sich in den Kampfhandlungen der Gladiatoren widerspiegeln sollten. Das Volk war begeistert und bald entdeckten römische Politiker, dass die Ausrichtung von Gladiatorenkämpfen ein geeignetes Mittel war, die eigene Beliebtheit zu steigern.
Klotzen statt Kleckern: Tierhetzen
Die Veranstaltungen nahmen immer größere Dimensionen an und umfassten bald auch die Tierhetzen. Bei diesen traten exotische Tiere, wie zum Beispiel Löwen und Panther gegeneinander an. In anderen Fällen gesellte man zu den Löwen auch afrikanische Bogenschützen. An „Darstellern“ wurde nicht gespart. Titus soll zur Einweihung des Kolosseums 5.000 Tiere in die Arena geschickt haben, Trajan führte das Volksspektakel zu seinem Gipfelpunkt, als er anlässlich seines Sieges über die Daker für die venationes 11.000 Tiere zur Verfügung stellte. Der Verbrauch an wilden Tieren war hoch und trug schon damals zum Aussterben verschiedener Spezies bei.
Beliebt und begehrt: Gladiatorenkämpfe
Wurden die Gladiatorenkämpfe ursprünglich noch von Privatleuten finanziert, waren sie zur Blütezeit des Amphitheaters von Tarraco längst ein Privileg des Kaisers, der als einziger das Recht hatte, diese Veranstaltungen ausrichten und sich dafür feiern zu lassen. Insbesondere in Provinzstädten wie Tarraco bildeten die aufsehenerregenden Schaukämpfe einen integralen Bestandteil des Kaiserkultes. Bereits im Jahr 22 v.Chr. hatte Kaiser Augustus per Dektret bestimmt, dass Gladiatorenkämpfe nur noch an einigen wenigen Tagen im Jahr stattfinden durften. Dieser Seltenheitswert beeinflusste die öffentliche Wahrnehmung der Veranstaltungen nicht nur aus der Perspektive der Zuschauer.
Während die frühen Gladiatoren noch fast ausnahmslos Sklaven oder Kriegsgefangene waren, gewann der Status des Gladiators im Laufe der Zeit ein solches Maß an Attraktivität, dass der Römische Senat per Gesetz versuchte, eine Entwicklung einzuschränken, im Zuge derer sich immer mehr Menschen freiwillig als Gladiatoren verdingten. Diese gaben ihre Rechte als freie Bürger auf (zum Beispiel das Wahlrecht und das Recht auf eine rechtsgültige Eheschließung) und nahmen einen sozialen Status an, der niedriger war als der von Sklaven. Dafür mussten sie als Gladiatoren nur zwei bis dreimal pro Jahr kämpfen und waren den Rest der Zeit gut versorgt. Vor dem Hintergrund der ohnehin kurzen Lebenserwartung jener Zeit, in der die Bürgerrechte auch mit der Verpflichtung zum Kriegsdienst einhergingen, waren dies offenbar rosige Aussichten. Gegen Ende der Römischen Republik sollen etwa die Hälfte der Gladiatoren ehemals freie Bürger gewesen sein.
Athletische Wettkämpfe, öffentliche Folter und Hinrichtungen
Das Amphitheater von Tarraco war jedoch nicht nur Austragungsort von Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen, hier fanden auch athletische Wettkämpfe statt. Ein weiterer Bestandteil des Theaterprogramms waren öffentliche Folter und Hinrichtungen. Traurige Berühmtheit erlangte die Hinrichtung des Bischofs Fructuoso von Tarragona und seiner beiden Diakonen Augurio und Eulogio im Jahr 259 n.Chr. Alle drei wurden während der Herrschaftszeit des Kaisers Valerian im Amphitheater von Tarraco bei lebendigem Leibe verbrannt und gingen als Märtyrer in die Annalen der Katholischen Kirche ein. Aus der Sicht des Kaisers, der im krisengeschüttelten dritten Jahrhundert die Staatsgeschicke zu lenken versuchte, hatte diese Praxis jedoch mehrere praktische Vorteile. Sie diente nicht nur dem Erhalt althergebrachter religiöser Anschauungen und Machtgefüge und der Unterhaltung des Volkes. Die Verfolgung und nachfolgende Enteignung der zahlreicher werdenden Christen stellte auch eine Möglichkeit dar, das Staatsdefizit zumindest in Teilen auszugleichen.
Letztlich siegte dennoch auch in Tarragona das Christentum. Unter der Herrschaft der ersten christlichen Kaiser verlor das Amphitheater von Tarraco im 5. Jahrhundert seine ursprünglichen Funktionen. Im 6. Jahrhundert wurden die Steine des Theaters verwendet, um eine dreischiffige Basilika zu bauen, die an das Martyrium der drei Heiligen von Tarragona erinnern sollte. Für lange Zeit lag eine Stille des Vergessens über dem römischen Monument. Heute ist die Antike in Tarragona wieder lebendig. Wer sich überzeugen möchte, besuche Tarragona im Juni zum Festival Tarraco Viva oder im August, wenn die Gladiatorenkämpfe auf faszinierende Weise neu in Szene gesetzt werden.
Fragen zu Katalonien?