Geschichte erwandern – Mit TrekPyrenees durch Pyrenäen und Priorat

Es ist der 5. Dezember 1942. Jeanne Agouau ist 22 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer Familie in Aulus-les-Bains, einem kleinen Gebirgsdorf in den französischen Pyrenäen nahe der spanischen Grenze. Die hohen Berge und das Grenzgebiet sind ihr in allen Einzelheiten vertraut. Als Hirtin zieht sie mit ihren Schafen über Geröllfelder, Pässe und Hochgebirgsweiden. Doch an diesem 5. Dezember des Jahres 1942 sind es nicht Schafe, die sie in ihre Obhut nimmt.

Ihr Vater wird einer Gruppe von Juden zu helfen, die auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Besatzung in Südfrankreich über die Pyrenäen nach Spanien gelangen wollen. Als weitsichtiger Mann weiß Jeannes Vater, welches Risiko es bedeuten kann, im Winter mit neun unerfahrenen Wanderern die Pyrenäen zu überqueren. Dennoch bietet er sich als Führer an, ohne eine Entlohnung zu verlangen. Aber er braucht einen zuverlässigen zweiten Begleiter für die Gruppe, jemandem, dem er bedingungslos vertrauen kann. Jeanne erklärt sich bereit. Noch vor dem Morgengrauen des 5. Dezember verlässt die Gruppe unbemerkt von den deutschen Soldaten Aulus-les-Bains und beginnt den Aufstieg durch das Gerbet-Tal.

Gletscherseen und Gipfel auf dem Freedom Trail © Miguel Ibañez

Dies ist der Anfang einer abenteuerlichen Flucht, die von heutigen Wanderern auf dem Freedom-Trail nachvollzogen werden kann. Dieser bewegt sich auf den Spuren einer unmöglich erscheinenden Überquerung der verschneiten Pyrenäen. Die dramatischen Geschehnisse im Zuge dieser Wanderung sollten dem Leben Jeanne Agouaus und dem ihrer Schützlinge eine schicksalhafte Wendung geben. Die Spuren der Erinnerung an jene Ereignisse im Dezember 1942 lagen lange verborgen in der Einsamkeit der hohen Berge. Heute beginnt man, jener dunkelsten Jahre des 20. Jahrhunderts auf historischen Fluchtrouten über die Pyrenäen zu gedenken.

Der Bergführer Miguel Ibáñez, der den Freedom-Trail zu seinen liebsten Routen zählt, ist einer jener Menschen, die tief in das Gebirge und die Geheimnisse seiner Geschichte eingedrungen sind. Die Berge scheinen ihn gerufen zu haben, um vergessene Geschehnisse aus dem Dunkel der Zeiten ans Tageslicht zu holen. Vor allem aber haben sie ihm den Wunsch ins Herz gelegt, seine Begeisterung für diese Landschaft mit anderen Menschen zu teilen.

TrekPyrenees: Miguel Ibáñez

In seinem früheren Leben war Miguel Ibáñez IT-Manager mit einem erfreulich hohen Lebensstandard. Eigentlich war alles bestens. Bis auf dieses nagende Gefühl, das mit der Zeit immer stärker wurde: Sein Job und der durchaus angenehme Lebensstil waren weit davon entfernt, ihn glücklich zu machen. „Midlife-Crisis. Geht vorbei!“ hätte er denken können. Tat er aber nicht. Statt dessen stellte er mit knapp 50 Jahren sein Leben auf den Kopf, ließ die IT-Welt hinter sich und ist seither selbständiger Bergführer und Anbieter von Wanderreisen mit außergewöhnlicher Geschichte.

Weshalb der Aufbruch ins Ungewisse für ihn der Weg des geringsten Risikos war, wie seine Tourenangebote entstehen, welche Ingredienzien zu einer unvergesslichen Route gehören, weshalb er seinen Job liebt und was das alles mit den Katharern und irgendwie auch mit dem Buddhismus zu tun hat, verrät er uns im Interview.

Der Freedom-Trail im Sommer – eine traumhafte Wanderroute © Miguel Ibáñez

Katalonien Tourismus: Du bist seit sechs Jahren mit TrekPyrenees als Berg- und Wanderführer selbständig. Wie bist du dazu gekommen, mit knapp 50 Jahren einen guten bezahlten Job hinzuschmeißen und das Wagnis der Selbständigkeit aufzunehmen?

Miguel Ibáñez: Ich habe damals gemerkt, dass ich mit dem Leben, das ich führte, einfach nicht glücklich war. Ich war wohl in einem Prozess, in dem sich meine Wertvorstellungen änderten und ganz andere Dinge wichtig wurden als in den Jahren zuvor. Einige Zeit vorher hatte mich eine Freundin mit dem tibetanischen Buddhismus vertraut gemacht. Das hat dazu geführt, dass ich begann, viele Dinge aus einer neuen Perspektive zu sehen. Den eigentlichen Anstoß zu dieser Wende in meinem Leben hat aber meine damalige Partnerin gegeben. In einem der Momente, in denen ich dieses starke Gefühl hatte, das irgendetwas in meinem Leben gerade komplett falsch lief, sagte sie zu mir: „Miguel, was möchtest du wirklich tun?“ Ich musste überhaupt nicht überlegen. Ich wusste es sofort. „Ich möchte Bergführer sein. Ich möchte Menschen die Berge zeigen, ich möchte ihnen Geschichten erzählen und ich möchte ihnen dabei helfen, die fantastische Natur, die wir hier haben, kennenzulernen und zu genießen.“ „Gut“, sagte sie. „Dann tu das!“

Ich wusste tief in mir, dass sie recht hatte. Also tat ich es. Ich meldete mich zur Abendschule an und ließ mich nach meinem Vollzeit-Job in der IT zum zertifizierten Bergführer ausbilden. Ehrlich gesagt, es war furchtbar anstrengend. Meine „Mitschüler“ waren Mitte 20. Ich war Ende 40. Am Berg macht sich dieser Altersunterschied leider sehr deutlich bemerkbar. Aber ich habe mich durchgekämpft und am Ende meine Ausbildung glücklich abgeschlossen. Dann habe ich meinen Job gekündigt und mich selbständig gemacht.

Kataloniens Gebirgslandschaften sind voll von historischen Kirchen und Kapellen © Miguel Ibáñez

Katalonien Tourismus: Ganz schön mutig. Hattest du keine Angst vor diesem Sprung ins Ungewisse?

Miguel Ibáñez: Natürlich habe ich mir auch Sorgen gemacht, dass es schief gehen könnte. Aber wie eben schon erwähnt, hatte sich ja meine Einstellung zu vielen Dingen schon in den Jahren zuvor sehr geändert. Durch meinen Kontakt mit dem Buddhismus hatte ich damals bereits die Gewohnheit, die Dinge auch einmal aus der Perspektive zu betrachten, die sich am Ende des Lebens ergibt. Am Ende fragen wir uns: Was bereue ich in diesem Leben nicht getan, ausprobiert oder erlebt zu haben? Und mir war klar, dass ich es furchtbar bereuen würde, wenn ich nicht  versucht hätte, Bergführer zu werden.

Katalonien Tourismus: Was macht deine Arbeit heute aus?

Miguel Ibáñez: Ich bin natürlich viel in den Bergen unterwegs – aber manchmal habe ich den Eindruck, ich verbringe mindestens so viel Zeit in der Bibliothek wie auf dem Berg. Ich bin ein leidenschaftlicher Leser und immer auf der Suche nach spannenden Geschichten. Romane interessieren mich allerdings gar nicht. Mich faszinieren die Geschichten, die das Leben schreibt. Die Pyrenäen sind voll von solchen Geschichten, aber ich bin auch viel im Priorat unterwegs.

Der Priorat: Eine fantastische Naturlandschaft voller Geschichte © Miguel Ibáñez

Katalonien Tourismus: Wie entstehen dann letztlich die Wanderrouten, die du anbietest?

Miguel Ibáñez: (lacht) Sie entstehen seeehr langsam. Ich brauche viel Zeit, um eine Route zu erarbeiten. Es müssen zwei Dinge zusammen kommen: Eine spannende Geschichte und eine beeindruckende Landschaft mit Wegen, die für Wanderer reizvoll sind. Wenn ich die Geschichte und den Ort gefunden habe, fange ich an, das Terrain zu erkunden und mir Gedanken zu machen, wie sich die Wanderung am besten gestalten lässt.

Katalonien Tourismus: Wie sehen deine Routen also konkret aus?

Miguel Ibáñez: Ich biete vor allem leichte und mittelschwere Touren an. Meine Kunden sind meistens über 45 und eher am Gesamterlebnis als an sportlichen Leistungen interessiert. Ich bin immer darauf bedacht, Ihnen eine Wandererfahrung zu ermöglichen, bei der sie die Natur mit allen Sinnen erleben. Wir sprechen viel über die Pflanzen, auf die wir am Wegesrand stoßen, über ihre Besonderheiten und die Bedeutung, die sie für das Leben der Menschen in der Region haben. Ich wähle die Wege so, dass sie einerseits Landschaftsgenuss und andererseits eine Prise Abenteuer bieten. Das heißt, ab und an stoßen wir auf „annehmbare Herausforderungen“. In den Pyrenäen passiert es ja öfter, dass man ein wenig klettern oder sich zum Beispiel an einem Seil festhalten muss, um einen schwierigen Abschnitt zu überwinden. Ich habe festgestellt, dass viele Gäste gerade diese Erlebnisse besonders lieben. Für diejenigen, die das nicht mögen, suche ich andere Routen.

Ein Prise Abenteuer – Unterwegs mit TrekPyrenees © Miguel Ibáñez

Eine weitere Zutat meiner Wanderreisen sind die Weinverkostungen, die ich selber organisiere. Katalonien hat eine große Weinkultur und bei den gemeinsamen Abenden im Hotel genießen wir regelmäßig ausgesuchte Weine. Vor der Weinverkostung mache ich meine Gäste mit der Geschichte der Etappe des nächsten Tages vertraut. Ich arbeite das Material auch immer schriftlich (auf Englisch) aus und gebe es den Gästen an die Hand. Aber abends vor der Weinprobe erzähle ich, was uns am nächsten Tag erwartet. Bevor ich den optimalen Ablauf für das Procedere herausgefunden hatte, habe ich auch versucht, die Geschichte der Route des nächsten Tages nach der Weinprobe zu erzählen. Das habe ich allerdings bald aufgegeben, weil die Gäste mir regelmäßig eingeschlafen sind. (lacht)

Katalonien Tourismus: Um welche Geschichten geht es auf deinen Wanderrouten?

Miguel Ibáñez: Ich schicke mal voraus, ich biete auch Routen „ohne Geschichte“ an, wo es einfach darum geht, die schönsten Gipfel der Pyrenäen zu besteigen. Das hat schließlich auch seinen Reiz.
Eine der beeindruckendsten „Routen mit Geschichte“ ist meiner Ansicht nach der Freedom Trail, der den Spuren einer Gruppe von Juden folgt, die im Winter auf der Flucht vor den Nazis die Pyrenäen von Frankreich nach Katalonien überquerte. Die Juden waren aber nicht die ersten, die von Frankreich fliehend hier auf der anderen Seite der Pyrenäen Schutz gesucht haben.

Ich bin fasziniert von der Geschichte der Katharer. Die predigten damals die Besinnung auf die ursprünglichen Werte des Christentums und eine bescheidene Lebensweise. Damit stellten sie Praktiken der Katholischen Kirche in Frage und gerieten in Konflikt mit der Inquisition. Die Katharer lebten zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert in Südfrankreich, dem alten Okzitanien und viele von ihnen flohen über die Pyrenäen nach Katalonien. Aus einem Grund, den ich mir selber nicht wirklich erklären kann, habe ich eine ganz besondere Beziehung zu ihrer Geschichte. Wenn ich vor den alten Kulturdenkmälern der Katharer stehe, fühle ich mich, als würde ich nach Hause kommen. Deshalb teile ich immer wieder mit meinen Gästen meine Einblicke in diese Kultur. Ein weiteres Thema, dass sich durch viele meiner Routen zieht, ist die romanische Architektur, die für die Pyrenäen so besonders prägend ist.

Die romanische Architektur prägt die Landschaft der katalanischen Pyrenäen © Miguel Ibáñez

Katalonien Tourismus: Ein weites Themenspektrum. Bietest du auch Routen an, bei denen man „von allem ein bisschen“ erfahren kann?

Miguel Ibáñez: Etwa 50% meiner Wanderrouten sind maßgeschneidert für den Kunden, der bucht. Das heißt, sowohl die Thematik als auch der Schwierigkeitsgrad einer Route können ganz auf die Bedürfnisse des Gastes abgestimmt werden. Einen Eindruck von solchen Routen kann man sich  auf meinem Youtube-Kanal verschaffen. Wenn ich die Videos zusammenstelle, gebe ich mir übrigens immer besonders viel Mühe damit, Musik zu finden, die die Stimmung der Tour einfängt. Ich wünsche euren Lesern viel Spaß damit!

INFO:
Informationen über Gruppenreisen mit TrekPyrenees und maßgeschneiderte Angebote für Kleingruppen und Familien finden Sie unter: www.trekpyrenees.com

Eva Hakes: