Was passiert, wenn man Erdverbundenheit, Haute Cuisine und die Perspektive eines Historikers in die Küche eines Hotels bringt? Das erfahren Sie in unserem Interview mit Joan Pallarès.
Inmitten der waldigen Gebirgsketten der Vorpyrenäen liegt das Hotel Can Boix de Peramola. Wer dort gewesen ist, pflegt mit Lobliedern auf den Lippen zurückzukehren. Die Gründe für die Begeisterung der Gäste sind vielfältig: Die einen haben besonderen Gefallen an den schön ausgestatteten geräumigen Zimmern und dem aufmerksamen Personal gefunden. Andere haben vom Swimming-Pool aus auf Himmel und Berge geschaut und sind in glückselige Entspannung verfallen. Wieder andere fanden im Hotel Can Boix den perfekten Ausgangspunkt für Wanderungen und Abenteuersport unterschiedlichster Art. Bei aller Unterschiedlichkeit in den Vorlieben der Gäste, besteht über eines allgemeine Einigkeit: Die Küche des Hauses ist ein Erlebnis für sich.
Nicht umsonst zählt das Can Boix zu den renommierten katalanischen Hotels Gastronòmics. Der Herr des Hauses, Joan Pallarès, ist gleichzeitig auch der Herr der Küche. Er hat die Geheimnisse der Kochkunst bis in die Tiefe erforscht, er kennt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der katalanischen Kulinarik. Vor allem aber weiß er um ihre Wurzeln, die tief in der Erde zwischen Pyrenäen und Mittelmeer liegen.
Wer sich die Gerichte des Can Boix bei einer Unterhaltung mit dem Küchenchef auf der Zunge zergehen lässt, wird merken, dass Joan Pallarès in seiner Hingabe an die Küche und das Hotel zu einer besonderen Perspektive auf das Leben gefunden hat. Die spannendsten und überraschendsten Momente unseres Gespräches mit Joan Pallarès haben wir hier für Sie festgehalten.
Katalonien Tourismus: Wie bist du zum Hotel Can Boix gekommen? Erzähl uns etwas von deiner Geschichte mit diesem Hotel.
Joan Pallarès: Das ist eine wirklich lange Geschichte. Sie beginnt vor etwa 250 Jahren. (lacht) Damals kaufte meine Familie das Haus mit einem Stück Land. Meine Familie hat hier über Generationen von der Landwirtschaft gelebt. Dann kam im Jahr 1936 der Spanische Bürgerkrieg. Mein Großvater half Flüchtlingen aus Barcelona und anderen großen Städten, sich hier in den Bergen möglichst sicher zu verstecken. Er gab ihnen zu essen und später vermietete er ihnen auch gelegentlich ein Zimmer.
Das Can Boix war ein armes Haus. Wir hatten nicht genug Land, um von der Landwirtschaft allein zu leben. Deshalb mussten wir eine Alternative finden. 1960 meldeten wir das Haus als Hotel an. Damals sah das allerdings noch ganz anders aus als jetzt. Es gab keine Toiletten auf den Zimmern, sondern Gemeinschaftstoiletten auf dem Flur. Und die Duschen waren damals draußen und hatten kein warmes Wasser. Aber Schritt für Schritt wurde das Hotel immer komfortabler. Heute ist das Can Boix ein Vier-Sterne-Hotel, das sich durch sehr guten Service auszeichnet. Und als Hotel Gastronòmic hat es natürlich auch eine gute Küche.
KT: Die Küche des Can Boix liegt ja ganz in deinen Händen. Wie bist du dazu gekommen, Koch zu werden?
JP: Als ich 14 war, ging ich bei meiner Großmutter in der Küche des Can Boix in die Lehre. Sie war eine sehr gute Köchin. Später habe ich dann auch in Frankreich und in der Schweiz gelernt. Aber das, was die Küche des Can Boix heute ausmacht, ist zu einem großen Teil auch das Erbe meiner Großmutter.
KT: Was macht denn die Küche des Can Boix aus?
JP: Wir haben heute ein sehr vielfältiges Angebot, weil auch die Wünsche und Bedürfnisse der Gäste immer vielfältiger werden. Stichwort „Nahrungsmittelunverträglichkeiten“ und „besondere Diäten“. Auf diese Dinge müssen wir eingehen, wenn wir zufriedene Gäste haben wollen. Deshalb bieten wir zum Beispiel auch vegetarische und vegane Gerichte an.
Im Grunde genommen ist die Küche des Can Boix aber zutiefst der kulinarischen Tradition der Pyrenäen verbunden. Die wiederum hat ihre Wurzeln in der über die Jahrhunderte überlieferten Lebensweise der Menschen hier, die erst in den letzten hundert Jahren größere Veränderungen erfahren hat.
KT: Was heißt das konkret für die Gäste des Restaurants?
Wir setzen in aller erste Linie auf lokale Produkte der Saison. Von Mai bis Oktober kommt das Gemüse aus unserem eigenen Garten. Aus dem Wald gibt es Kräuter, Pilze aber auch Wild. Fleisch kaufen wir, wann immer möglich, von kleinen Anbietern aus dem Umkreis. Wir haben auch ein besonderes Menü für Kinder und ich bin stolz darauf, dass Kinder besonders gerne in unser Restaurant kommen. Und das, obwohl unser Essen anders schmeckt, als das, was sie gewohnt sind. Für viele Gerichte muss man vielmehr Zeit in der Küche verbringen als das beim heutigen Lebensstil möglich ist. Hausgemachte Kroketten zum Beispiel schmecken einfach anders als Tiefkühl-Kroketten. Im ersten Moment würden viele Menschen den bekannten Geschmack vorziehen. Trotzdem überzeugen wir in der Regel. Und bei den Kindern freue ich mich besonders darüber.
KT: Hast du ein spezielles Angebot für Kinder?
Wie schon gesagt, wir haben ein Kinder-Menü. Aber ich arbeite auch schon länger an einer Idee, die ich als Fernsehserie umsetzen möchte. Die Idee dahinter ist eine Art „Gastronomische Pädagogik“ zu entwickeln, die eine bestimmte Kenntnis der Welt, der Landschaft und der Nahrungsmittel, die sie uns schenkt, erschließt. Von so vielen Dingen, die wir selbstverständlich verzehren, wissen wir so wenig. Selbst die Erwachsenen wissen oft nicht, wie denn die Bienen aus dem Nektar den sie sammeln, letztlich Honig machen. Wer denkt darüber nach, dass die Geschichte des Brotes sich bis ins Jahr 2.700 v.Chr. zurückverfolgen lässt? Und weshalb ist eigentlich die Kartoffel, die bei uns erst seit ein paar hundert Jahren angebaut wird, ein so unverzichtbarer Teil der europäischen Küche?
KT: Wenn man dir zuhört, gewinnt man den Eindruck, dass diese Fragen dich auch persönlich umtreiben…
Ich bin von einer Sache tief überzeugt. Wer als Koch die Nahrungsmittel, die Produkte, mit denen er arbeitet, nicht kennt und keine Beziehung zu ihnen hat, kann kein Gericht daraus zubereiten, das wirklich begeistert. Und wer der Geschichte keine Beachtung schenkt, wird im Leben nichts erreichern. Um etwas zu erreichen, musst du auf dem aufbauen, was bereits getan worden ist. Das ist in der Küche genauso wie im Leben. Letztlich scheint es mir auch unmöglich, die eigene Arbeit wertzuschätzen, wenn man nicht auch das wertschätzt, was die getan haben, die vor uns hier waren.
Wie zeigt sich diese Wertschätzung?
In den letzten Jahren ist häufig die Rede von „Autorenküche“. In der Autorenküche gibt es keine Rezepte mehr. Es gibt die Produkte und es gibt einen Koch, der in diesen Produkten Inspiration findet und sie zu einer Komposition zusammenfügt, die eine ganz persönliche Handschrift trägt. Darin liegt die Kreativität.
Für mich persönlich ist der Begriff der Autorenküche dennoch ein schwieriger Begriff. Als Köche arbeiten wir ja immer innerhalb einer bestimmen Tradition – oder in einer globalisierten Welt innerhalb verschiedener Traditionen. Wer also jetzt nicht gerade etwas radikal Neues wie zum Beispiel die Molekulare Küche erfindet, setzt auf dem auf, was diejenigen getan haben, die vor uns waren. Ich bin der Ansicht, dass im Moment bei der Ausbildung junger Menschen in der katalanischen Eliteküche eine Sache zu kurz kommt. Es fehlt ein klarer Bezug zur traditionellen katalanischen Küche und ihren Techniken.
Warum braucht die moderne Eliteküche einen Bezug zur traditionellen Küche?
Die katalanische Eliteküche ist ein ganz junges Phänomen. Sie ist gerade einmal 30 Jahre alt. Es entsteht oft der Eindruck, dass diese Eliteküche etwas ist, dass getrennt von der traditionellen Küche existiert. Die jungen Köche lernen, moderne Gerichte zuzubereiten, bei denen der visuelle Aspekt eine wichtige Rolle spielt, bevor sie etwas über die traditionelle Küche lernen und über die Produkte, mit denen wir arbeiten.
Natürlich unterliegen wir der Mode unserer Zeit und wer Erfolg haben möchte, muss auch in der Küche mit der Mode gehen. Aber wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass die meisten wesentlichen Dinge sich nicht verändern. Die Produkte, mit denen wir arbeiten, bleiben die Gleichen, und man muss sie kennen und wertschätzen, um daraus wirklich gute Gerichte zu machen.
Wer die traditionellen Techniken kennt und einen Bezug zu den Produkten hat, mit denen wir arbeiten, hat eine ganz andere Basis, um in der Küche kreativ zu werden. Das katalanische Institut für Küche und gastronomische Kultur trägt dem inzwischen Rechnung mit der Veröffentlichung des Corpus Culinari Català. Diese Rezeptsammlung enthält typisch katalanische Gerichte, die zum Teil 300 oder 400 Jahre alt sind. Ich denke, es ist wichtig, die Kontinuität zwischen der traditionellen Küche und der Eliteküche in Katalonien wiederherzustellen.
Du selbst bewegst dich ja in beiden Welten und kennst die katalanische Eliteküche ebenso gut wie die traditionelle katalanische Küche, in die dich deine Großmutter eingeführt hat. Was bedeutet das für deine Arbeit?
Ich bin mir dessen bewusst, dass Kreativität nichts „aus der Luft Gegriffenes“ ist. Sie wurzelt in einer starken Naturverbundenheit und in der Verbindung mit all denen, die vor mir in diesem Haus und auf diesem Land gearbeitet haben.
Womit wir dann wieder beim Thema „Geschichte“ wären?
Ja, genau. Die Gegend um Peramola, in der meine Familie nun seit über 250 Jahren lebt, hat eine bewegte Geschichte. Es gab immer wieder Kriege, Bürgerkriege und Hungersnöte, die ganz direkten Einfluss auf das Leben der Menschen hier hatten. Und auch dann, wenn keine akute Not herrschte, war das Leben in diesen Bergen hart und anstrengend. Mein Vater hat ein Buch über die Geschichte unserer Familie im Can Boix geschrieben. Ich denke, wer es ließt, kann sich eine lebendige Vorstellung davon machen, wie das Leben hier aussah.
Erzähl uns davon…
In den „ruhigen Zeiten“, sah es so aus, dass meine Vorfahren im Morgengrauen aufstanden. Dann arbeiteten sie den ganzen Tag über auf dem Hof und den Feldern. Aber am Abend, wenn alle nach Hause kamen, wurde gemeinsam gekocht und gegessen, was die Felder und umliegenden Wälder uns gaben. Zu diesem abendlichen Beisammensein der Familie gehörte aber nicht nur das Kochen und Essen, sondern auch das Geschichten erzählen. Die Großeltern erzählten Geschichten und Anekdoten aus dem Leben unserer Vorfahren. Sie wurden von Generation zu Generation weitergegeben. So wurde unsere Geschichte ein Teil von uns. Mein Vater war wohl der letzte, der das in dieser Form mitbekommen hat. Danach gab es das Radio und später den Fernseher… Damit seine Enkel irgendwann auch einmal erfahren können, welche Geschichte ihre Familie hat, hat er es aufgeschrieben. (lacht)
KT: Dein Vater hielt also die Erinnerung an die Geschichte eurer Familie in Peramola wach, indem er sie in Worte fasste. Und du fasst sie in kulinarische Kreationen?
JP: Hm, vielleicht kann man das so sagen. Sicher ist, dass die Küche für mich ein traditionelles Handwerk ist, das der besonderen Kultur dieser Region entspringt. Die Küche verbindet uns mit diesem Land und mit denjenigen, die vor uns hier waren und mit ihrer Arbeit die Basis für das gelegt haben, was wir heute tun.
Fragen zu Katalonien?