Ausgrabungsstätte L’Esquerda – Kataloniens beliebtestes Monument 2019

Die Katalanen haben gewählt. In der Liste der Favoriten für das beliebteste Monument Kataloniens 2019 fanden sich Berühmtheiten wie das geschichtsträchtige Kloster von Ripoll, das Museum Fundació Joan Miró und die Basilika Santa Maria del Mar. Die Wahl fiel jedoch letztlich auf die relativ wenig bekannte archäologische Fundstätte L’Esquerda. Wie verraten Ihnen, was diesen Ort so einzigartig macht und weshalb L’Esquerda unbedingt einen Besuch wert ist.

Ein Ort von strategischer Bedeutung

Die archäologische Fundstätte L’Esquerda erhebt sich über einer Flussschleife des Rio Ter im  Landkreis Osona. Etwa sechs Kilometer von der Stadt Vic entfernt finden sich hier Spuren menschlicher Besiedlung vom Ende der Broncezeit im 10. Jahrhundert v.  Chr. bis ins 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Der Ort liegt in einer Höhe von gut 30m über dem Fluss. Daher beitet er optimale Voraussetzungen zur Verteidigung und Kontrolle des Gebietes. Überdies ermöglichte die Lage auf halbem Wege zwischen der Ebene von Vic und der gebirgigen Landschaft von Les Guilleries den Zugriff auf unterschiedlichste natürliche Ressourcen. Diese strategisch hervorragende Position von L’Esquerda nutzten beispielsweise Iberer, Westgoten, Mauren und Karolinger.

Ausgrabungen in L‘Esquerda

Trotz dieser beeindruckend langen Siedlungsgeschichte blieb L’Esquerda als archäologische Fundstätte lange unbeachtet. Zwar fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste Ausgrabungen statt, doch erst im Jahr 1977 begannen die systematischen archäologischen Arbeiten. Ein interdisziplinäres Team der Universität Barcelona konzentrierte seine Forschung zunächst auf die Nekropolis an der mittelalerlichen Kirche und die umliegenden Häuser. Bis heute finden regelmäßig neue Ausgrabungen im mittelalterlichen Teil L’Esquerdas statt.

Seit 1981 werden überdies auch regelmäßige Ausgrabungen im Bereich der Stadtmauer durchgeführt. Im Zuge dieser Arbeiten trat die erstaunlich lange Siedlungsgeschichte des Ortes zu Tage. Da sind zunächst die Funde aus der Broncezeit. Weiterhin sind die Reste eines iberischen Oppidum von besonderem Interesse. Diese stadtartige befestigte Siedlung stammt wohl aus der Zeit zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert v. Chr. Die großen Getreidespeicher, deren Fundamente an der Ausgrabungsstätte ebenfalls freigelegt wurden, sind hingegen etwa 1000 Jahre jünger. Wie die Forscher festgestellt haben, stammen diese nämlich aus der Zeit der Westgoten.

Ausgrabungen in L’Esquerda

Experimentelle Archäologie

Die Archäologen erforschen die Geschichte von L’Esquerda allerdings nicht nur mit Hilfe von Ausgrabungen. Sie stützen sich auch auf die Möglichkeiten der Experimentellen Archäologie. Deren Ziel ist es, Hypothesen und Theorien  über die Funktion bestimmter Räume und Strukturen im Rahmen verschiedener Versuche prüfen zu können. Der 2015 erbaute „Karolingische Wachtturm“ ist ein Beispiel für ein solches Projekt. Er wurde ohne jegliche metallische Verbindungen komplett aus Holz errichtet. Den Produktionsprozess kann man beispielsweise mit Hilfe dieses Videos nachvollziehen.

Die Spuren der Iberer

Der beeindruckende Schutzwall, der den einzig möglichen Zugang zur Halbinsel umgibt, ist hingegen das am deutlichsten sichtbare Zeugnis der iberischen Siedlungsepoche. Eine Hauptstraße, die ausgehend vom Stadttor das Oppidum von Nord nach Süd durchzog, bestimmte die Gesamtstruktur des Ortes. Weiterhin waren eine Keramik- und eine metallverarbeitende Werkstatt bedeutende Orte der iberischen Siedlung, die bis heute gut erkennbar sind. Um das 3. Jahrhundert v. Chr. zerstörte jedoch ein großes Feuer weite Teile der Siedlung, unter anderem den Wall. Wenige Jahre später wurde das Oppidum jedoch wieder aufgebaut. Man errichtete einen neuen Wall und verlegte den Zugang des Dorfes nun an die Ostseite der Mauer. All diese Details sind bei einem Besuch der Ausgrabungsstätte nachzuvollziehen.

In L’Esquerda sind Spuren aus 2500 Jahren Siedlungsgeschichte zu sehen

Westgoten, Karolinger und Mauren

Eine Nutzung des Hügels über dem Fluss in römischer Zeit ist nicht dokumentiert. Mit dem Einfall der germanischen Völker und den damit einhergehenden politischen Veränderungen, gewann  nun die strategische Position der alten Iberersiedlung wieder an Bedeutung. Die Getreidespeicher aus dem 7. Jahrhundert sind ein Zeugnis der westgotischen Siedlung. Auch die Außenmauer von L’Esquerda sowie eine Reihe von Gräbern außerhalb der Siedlung stammen aus dieser Zeit. Ende des 8. Jahrhunderts errichteten die Karolinger entlang des Ter eine ganze Reihe militärischer Festungen, um die maurische Eroberung der Iberischen Halbinsel aufzuhalten. Zu diesen gehörten Orte wie Savassona, Sant Pere de Casserres, aber eben auch L’Esquerda. Die Mauer aus westgotischer Zeit wurde damals um Wachttürme mit quadratischer Grundfläche erweitert.

Die Archäologen legten eine mittelalterliche Nekropolis frei

Hochmittelalter

Ab dem 10. Jahrhundert ist eine kleine, Sant Pere geweihte Kirche beurkundet. Sie ist von einer Nekropolis mit antropomorphen Gräbern umgeben. Die Bewohner des Ortes lebten in dieser Epoche in Steinhäusern mit quadratischer Grundfläche. Ab dem 11. Jahrhundert kommt dann es zu einer Umgestaltung von L’Esquerda. Es wird eine Kirche erbaut, in der die neuen Techniken der frühen Romanik zur Anwendung kommen. Rund um die Kirche wächst nun ein Dorf mit Wohnhäusern, Werkstätten, Öfen und öffentlichen Plätzen.

Während dieser Zeit wurden zudem zahlreiche Veränderungen an den alten Verteidigungssystemen durchgeführt. Bis zum 13. Jahrhundert erfuhr das mittelalterliche Dorf ein stetiges Wachstum. Im 14. Jahrhundert kam es hingegen zu einem Bevölkerungsrückgang. Die feudalen Auseinandersetzungen zwischen dem Haus von Cabrera und dem Bistum von Vic führten zu einer Verlagerung der Siedlung. Diese konzentrierte sich nun auf das bis heute erhaltene Dorf Roda del Ter, denn dieses lag näher an der Brücke und den wichtigen Kommunikationswegen des Gebietes.

Ruinen der mittelalterlichen Kirche von L’Esquerda

Die Spuren all dieser geschichtliche Ereignisse sind an der Ausgrabungsstätte von L’Esquerda zu finden. Überdies zeigt die permanente Ausstellung des Museums von L’Esquerda Gegenstände aus allen Epochen der Siedlungsgeschichte. Außerdem finden im Museum immer wieder temporäre Ausstellungen statt, in denen zum Beispiel der Forschungs- und Ausgrabungsprozess thematisiert wird. Weitere Infos gibt es hier.

© aller Bilder: Manel Cuesta Cano Museu Arqueològic de l’Esquerda Osona Turisme
Eva Hakes: