Für Reisende ist der Priorat bislang noch ein Geheimtipp, internationale Weinkenner haben die Gebirgsregion im Hinterland der Costa Daurada jedoch schon seit einigen Jahren genau im Blick. Der Priorat ist eine von zwei Weinbauregionen, die den Standards der höchsten spanischen Qualitätsauszeichnung DOC (denominación de origen calificada) entspricht. Die Wurzeln der Weinkultur des Priorat reichen weit zurück in die Vergangenheit. Ihren Ausgangspunkt haben sie in einem uralten Kartäuserkloster, der Cartoixa de Santa Maria d’Escaladei.
Santa Maria d’Escaladei war das erste Kartäuserkloster auf der gesamten Iberischen Halbinsel. Im Jahr 1194 stiftete Alfons I das einsame Land am Fuße des Montsant-Gebirges an die Kartäuser. Diese sollten dazu beitragen, das gerade erst von den Sarazenen wiedergewonnene Gebiet im Sinne des Christentums neu zu kultivieren und zu bevölkern.
Die „Stufen zu Gott“ am Montsant
Der Legende nach sandte Gott selbst den ersten Kartäusermönchen, die aus dem Mutterhaus in der Provence in die Provinz Tarragona kamen, ein Zeichen, das ihnen den geeigneten Ort für den Bau des Klosters zu erkennen gab. Auf ihrer Wanderung durch das Gebiet trafen sie einen Hirten, der ihnen von einem wiederkehrenden Traum erzählte: Über eine Leiter, die an einer Pinie auf seiner Weide lehnte, stiegen die Engel in den Himmel auf. Die Mönche verstanden diese Worte als Botschaft Gottes und bauten ein erstes kleines Kloster an dem Ort, den der Hirte ihnen gezeigt hatte. Dies war der Ursprung des Kosters Santa Maria d’Escaladei – dessen Name „die Stufen zu Gott“ bedeutet. Zu den ersten, aus der Provene kommenden, Mönchen gesellten sich einige Eremiten, die schon lange zurückgezogen am Montsant lebten. Den Namen „Heiliger Berg“ verdankt der Gebirgszug vermutlich einer langen Tradition des Eremitentums in dieser Gegend.
Ein Kloster wird groß
Im Jahr 1203 erhielten die Kartäuser weitere Schenkungen und richteten schließlich das Kloster an seinem heutigen Ort ein. Ab 1215 nahmen die Mönche dort Wohnsitz, obwohl die Bauarbeiten noch lange nicht beendet waren. Zu den frühen Bauten des Klosters, deren Stil den Übergang von der Romanik zur Gotik markiert, zählen die zwölf Zellen der ersten Mönche, der Kapitelsaal als Versammlungsstätte des Klosters, das Refektorium, wo gemeinsam die Mahlzeiten eingenommen wurden und die Kirche Santa Maria, die im Jahr 1228 geweiht wurde.
Im Verlaufe des 13. und 14. Jahrhunderts wurde 2km vom Kloster entfernt auch die sogenannte Conreria erbaut, ein Erweiterungsbau des Klosters, von dem aus die Bestellung der Felder geleitet wurde. Hier befand sich auch das Verwaltungsgebäude, von dem aus nicht nur die Angelegenheiten des Klosters, sondern die der gesamten Region geregelt wurden. Aufgrund königlicher Protektion und mehrerer Schenkungen hatte das Kloster innerhalb kurzer Zeit an Macht und Einfluss gewonnen. Bereits im Jahr 1228 erhielt die Cartoixa durch den Papst die Berechtigung, den Kirchenzehnten einzuziehen, 1313 erteilte Jaume II den Kartäusern die Konzession für den Bergbau und die Verwaltung der auf ihrem Territorium befindlichen Minen, eine Entscheidung, die 1387 noch einmal von Joan I von Aragon bestätigt wurde.
Im Jahr 1333 finanzierte Prinz Joan d’Aragó i d’Anjou, Erzbischof von Toledo, der selber einige Jahre in der Cartoixa als Mönch gelebt hatte, den Bau eines zweiten Klostergebäudes mit zwölf Zellen, das nun im rein gotischen Stil erbaut wurde. Eine Schenkung Berenguer Gallards von Lleida ermöglichte schließlich im Jahr 1403 den Bau eines dritten, hochgotischen Klostergebäudes mit sechs Zellen. Insgesamt beherbergte die Cartoixa Santa Maria d’Escaladei zu jener Zeit 30 Mönche und 15 Laienbrüder.
Blütezeit
Unter den Kartäusern erlebte die Region eine mehrere Jahrhunderte andauernde kulturelle Blüte. Das Kloster brachte einige bedeutende Theologen, wie zum Beispiel Andreu Capella hervor, einige seiner Mönche wie Lluís Telm und Climent Riera wurden seinerzeit heilig gesprochen. Darüber hinaus bestellten die Mönche die Felder, ließen Mühlen bauen und verbreiteten das Wissen um die Techniken des Weinbaus in der Region. Schon im Jahr 1218 hatte die Cartoixa die Rechtsprechung über die umliegenden Dörfer übernommen. Porrera, Poboleda, la Morera und Torroja und bildeten den Kern des Priorats von Santa María d’Escaladei. Dessen Einfluss prägte über Jahrhunderte die gesamte Region, deren offizieller Name als Landkreis bis heute „Priorat“ lautet.
Machtgefüge
Zweifellos waren die Kartäuser Meister in der Kultivierung dieser gebirgigen Hänge. Das charakteristische Landschaftsbild des Priorat mit den von Reben bestandenen, stufenförmigen Terrassenfeldern ist Werk der Mönche und öffnet den Raum für eine weitere Interpretation des Namens Escaladei. Die schweren Jahre nach der Pestepidemie brachten jedoch auch der Cartoixa eine Zeit des kulturellen Niedergangs. Diesen kompensierten die geschäftstüchtigen Mönche durch den Erwerb neuer Ländereien. Als im Jahr 1452 das Zisterzienserkloster Santa Maria de Bonrepòs aufgelöst wurde, übernahmen die Kartäuser von Esacaladei dessen Besitz. Dies führte zu einem Rechtsstreit mit den Zisterziensern von Santes Creus, über den letztlich dahingehend entschieden wurde, dass die Güter zwischen beiden Klöstern aufgeteilt wurden.
Obwohl die Kartäuser schon seit dem 13. Jahrhundert das Recht auf den Kirchenzehnten der umliegenden Dörfer für sich beanspruchen konnten, waren sie bis ins 17. Jahrhundert hinein nicht im vollen Sinne Herren über dieses Gebiet, das im Besitz der Herzöge von Cardona lag. Im Jahr 1627 unterzeichneten diese jedoch einen Vertrag über den Verkauf der Hoheit über die Dörfer Morera, Poboleda, Torroja, Gratallops, la Vilella Alta, Porrera, Masmorell y la Gambosa zum Preis von 7.500 katalanischen Pfund an das Kloster d’Escaladei. Damit übernahmen die Kartäuser die voller Herrschaft über das Gebiet, das von nun an offiziell den Namen Priorat trug. Darüber hinaus hielt die Cartoixa auch Rechte an Dörfern in den Bistümern von Tarragona, Barcelona, Lleida und Urgell. Die Cartoixa Santa Maria d’Escaladei war berühmt für ihren Reichtum. Mit der Kombination von Einnahmen durch Verpachtung und Steuern sowie landwirtschaftlichen Erträgen auf ausgedehnten Ländereien wurde die Cartoixa zum reichsten Kloster der sogenannten Kartäuserprovinz Catalunya, welche Aragón, Katalonien, Valencia und die Balearen umfasste.
Kunst, Architektur und Schnaps
Im 17. und 18. Jahrhundert erlebte das Kloster eine weitere kulturelle Blüte und wurde zu einem Zentrum der religiösen Malerei, in dem Werke von Künstlern wie Agustí Pujol und den Kartäusern Joaquim Juncosa i Domadel und Pasqual Gaudí i Salvador Illa entstanden. In dieser Zeit unterzog man das Kloster weiterer Anbau- und Umbauarbeiten in deren Zuge auch die alten, im romanisch-gotischen Stil gehaltenen Gebäude im Stil von Barock und Klassizismus modernisiert wurden. Auch wirtschaftlich blühte das Kloster: Zu jener Zeit betrieb es mit Wein und Schnaps Geschäfte in bedeutendem Umfang und war außerdem im Besitz zweier Papiermühlen.
Das Ende einer Ära
Trotz der Kriegsereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Cartoixa de Santa María d’Escaladei bis zum Jahr 1820 durchgängig bewohnt und erhielt ihren Einfluss in der Region. Die Bewegung der Aufklärung brachte jedoch eine Schwächung der Macht des Klosters mit sich. Im Jahr 1820 mussten die Mönche zum ersten Mal das Kloster verlassen. Mit der Desamortisation unter Mendizábal 1835 wurden die Kartäuser schließlich enteignet und endgültig aus dem Kloster vertrieben, das bald darauf geplündert und niedergebrannt wurde. Innerhalb kürzester Zeit wurden die über 700 Jahre entstandenen Klostergebäude fast vollständig zerstört. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden Teil der alten Mauern sorgfältig wieder aufgebaut und zählen heute zu den sehenswertesten Kulturdenkmälern Kataloniens.