Die Vermessung des Wetters – Ein Interview mit Josep Pascual

Josep Pascual will nicht weg. Dafür gibt es zwei gute Gründe: Erstens fühlt er sich nirgendwo wohler als hier und zweitens will er das Meer und das Wetter von L’Estartit nicht alleine lassen. Mit dem Meer und dem Wetter seiner Heimat verbindet ihn, seit er denken kann, eine innige Beziehung. Und die hat Früchte getragen, für die sich Forscher aus aller Welt interessieren. Ein Gespräch über Heimat, Klimawandel und katalanische Musik…

1.11.2016 Sonnenaufgang über den Medas-Inseln inmitten tiefliegender Wolken. © Josep Pascual

 

Katalonien Tourismus: Josep, du bist Meteorologe von Beruf?

Josep Pascual: Nein, nein, von Beruf bin ich Landvermesser. Die Meteorologie ist mein Hobby. Mein zweites großes Hobby ist übrigens die Sardana, ein typisch katalanischer Volkstanz.

KT: Erzähl uns doch zunächst etwas über die Meteorologie. Wir sind auf dich durch eine Doku des NDR über die Costa Brava aufmerksam geworden. Dort wird berichtet, dass du seit 45 Jahren die Temperatur des Meeres misst und den Meeresspiegel deines Wohnortes L’Estartit dokumentierst. Wirklich seit 45 Jahren?

JP: Ja, das ist tatsächlich richtig. Ich habe schriftliche Aufzeichnungen über das Wetter seit dem Ende der 60er-Jahre, als ich etwa 15 Jahre alt war. Aber für das Wetter habe ich mich schon viel früher interessiert.

Mein Vater war Fischer und als ich ein kleiner Junge war, nahm er mich oft in seinem Boot mit. Ich saß dann zwischen den Fischern und hörte sie über die Wellen, das Wetter und das Meer sprechen. Einigermaßen zuverlässige Vorhersagen über das Wetter machen zu können, war für die Fischer schon immer geradezu lebenswichtig. Hier an der Costa Brava gibt es viele Mikroklimata und einige wenige Kilometer Entfernung können in Bezug auf das Wetter schon einen großen Unterschied machen. Das heißt, die allgemeine Wettervorhersage war nicht immer zuverlässig für unsere Region.

Vater und Großvater von Josep Pascual auf dem Fischerboot der Familie. © Archiv Josep Pascual

Ich wollte über das Wetter Bescheid wissen, ich wollte selber Vorhersagen machen können. Also fing ich an, das Wetter und das Meer zu beobachten. Ich beobachtete, wie der Regen in meine Messbecher aus Konservendosen fiel. Das waren die ersten selbstgebastelten Apparate, mit denen ich arbeitete. Außerdem maß ich die Temperatur und den Luftdruck, beobachtete den Zustand des Himmels und den Wind. Das begann so mit 12 oder 13 Jahren. Es war eine Art Spiel, zu dem mich die Neugier trieb. Einige Jahre später fing ich an, meine Beobachtungen zu dokumentieren und mit der Zeit fügte ich meinen Dokumentationen immer weitere Daten hinzu.

 

KT: Nach allem, was wir gehört haben, arbeitest du heute hochprofessionell? Immerhin arbeiten einige renommierte Wissenschaftsinstitute regelmäßig mit deinen Daten..

JP: Das ist richtig. Die Rohdaten meiner Messungen gebe ich  weiter an das Tourismusbüro von L’Estartit, aber auch an die Staatliche Meteorologie Agentur (AEMET) und an den Meteorologischen Dienst von Katalonien (SMC). Ausgearbeitete Zusammenfassungen gehen ebenfalls an diese Institutionen und außerdem an das Meeresinstitut in Barcelona (ICM) und das Centre d’Estudis Avançats (CEAB) in Blanes.

Dennoch, in mancher Hinsicht bin ich altmodisch. Ich mache alle meine Messungen weiterhin mit meinen alten Quecksilberthermometern und der Sonde, mit der ich angefangen habe zu arbeiten. Für die Dokumentation ist es sicherer, immer mit den gleichen Messgeräten zu messen. Und das Boot, mit dem ich aufs Meer fahre, ist das alte Fischerboot meines Vaters. Es ist 70 Jahre alt und relativ langsam. Aber ich mag es, mit dem Boot meiner Familie unterwegs zu sein.

1974: Josep Pascual misst bereits regelmäßig die Temperatur des Meeres bei L’Estartit © Archiv Josep Pascual

 

KT: Das ändert offenbar nichts daran, dass deine Daten weltweit gefragt sind…

JP: Eine Besonderheit meiner Datensammlung ist es wohl, dass außer mir kaum jemand über einen so langen Zeitraum kontinuierlich so detaillierte Aufzeichnungen gemacht hat. Deshalb erhalte ich öfter auch Anfragen von Studenten und Wissenschaftlern, die mit meinen Daten arbeiten wollen. Die Aufzeichnungen über das Niveau des Meeresspiegels werden auch in eine Datenbank eingepflegt, die weltweit solche Daten erfasst.

Und dann erhalte ich ab und zu noch Anfragen von anderswo. Vor drei Jahren hat zum Beispiel ein Student aus Kopenhagen auf der Basis meiner Daten seine Abschlussarbeit geschrieben und vor einigen Monaten erhielt ich eine Anfrage von einem Professor einer Universität in Neuseeland, der ebenfalls an meinen Daten interessiert war. Meine Aufzeichnungen werden genutzt für Studien zum Klima und Klimawandel und auch für Studien zur Meeresbiologie.

 

KT: Dokumentierst du nun wirklich seit 45 Jahren am Stück all diese Daten? Was passiert, wenn du in Urlaub fährst?

JP: Um ehrlich zu sein, ich bin schon lange nicht mehr in Urlaub gefahren. Eigentlich nur einmal 1983 für eine Woche. Einerseits ist es mir wichtig, die Daten zu sammeln und andererseits ist es so, dass ich nirgendwo anders sein möchte. Ich fühle mich wohl hier.

Nach Tagen ohne Niederschlag zeigen sich auf dem Pyrenäengipfel Canigó erste Löcher in der Schneedecke. Im Vordergrund des Bildes: Die Kirche von Torroella de Montgrí. Durch den Effekt des Zooms erscheinen die Pyrenäen hier wesentlich näher als sie sind. © Josep Pascual

 

KT: Du warst tatsächlich in 45 Jahren nur einmal in Urlaub?

JP: Ich weiß, ich bin ein bißchen seltsam, aber es ist tatsächlich so. Ich bin furchtbar gerne hier in L’Estartit, und ich schaue mir gerne im Fernsehen Reportagen über ferne Länder an. Aber ich verspüre kein Bedürfnis, selber zu reisen. 1983 war ich in Urlaub und 1972/73 war ich im Rahmen des Militärdienstes in Melilla und Almería. In dieser Zeit haben meine Mutter und meine Schwester die Daten aufgenommen.

 

KT: Deine Familie teilt also dein Hobby?

JP: Nein, nicht wirklich. Ich glaube, meine Mutter wollte mir den Abschied von zu Hause leichter machen, als ich für ein Jahr fort musste – also willigte sie ein, für mich die Messungen zu übernehmen.

 

KT: Was bedeuten denn diese Messungen für dich persönlich? Sind sie so eine Art Tagebuch? Verbindest du persönliche Erinnerungen mit deinen Aufzeichnungen?

JP: Natürlich hat mein Hobby auch eine sehr persönliche Bedeutung für mich, aber die Aufzeichnungen selbst sind eher unpersönlich. Es sind allgemeine meteorologische Daten über die Region. Sind die einmal erfasst, lese ich sie in der Regel auch nicht noch einmal durch, es sei denn, es gab irgendein besonderes meteorologisches Ereignis, wie ein großes Gewitter oder so etwas. In so einem Fall schaue ich dann doch noch einmal nach, ob es Auffälligkeiten gibt, die dafür ursächlich sein könnten.

Von persönlicher Bedeutung ist für mich wohl der Prozess, im Verlaufe dessen ich die Daten sammle. Wenn ich mit dem alten Boot meines Vaters alleine aufs Meer hinaus fahre, dann kommen mir natürlich sehr viele Erinnerungen.

In den frühen Morgenstunden trifft die kalte Luft der Ebene des “Baix Ter” auf das wärmere Wasser des Meeres. Das Ergebnis ist ein feiner Nebel, den man hier „mar fumejant“ nennt. Wenn die Fischer dieses Phänomen sehen, machen Sie sich auf darauf gefasst zu frieren. © Josep Pascual

 

KT: Bist du gern alleine?

JP: Ja, ich bin gerne alleine draußen unterwegs. Aber es kommen auch immer mal wieder Freunde mit, die sehen möchten, wie ich arbeite. Und ich habe ja einen Ausgleich zu meinen einsamen Stunden auf dem Meer. An den Wochenenden bin ich fast immer mit der cobla unterwegs, um Sardana zu spielen. Die Sardana, ein typisch katalanischer Tanz, ist mein zweites großes Hobby. Sie geht auf einen alten Tanz zurück, mit dem man in früheren Zeiten Gott um eine reiche Ernte und einen guten Fischfang bat. Dieser Brauch reicht wohl bis ins 17. Jahrhundert zurück.

Im 19. Jahrhundert hat dann der Musiker Pep Ventura aus Figueres die Sardana so arrangiert, wie wir sie bis heute spielen. Und er hat auch das Instrument erfunden, dass ich spiele, die Tenora, die zur Familie der Holzblasinstrumente gehört. Die Sardana, die man heute auf den Straßen Kataloniens hören kann, klingt heute tatsächlich noch exakt genauso wie vor 150 Jahren.

 

KT: Klingt als hättest du eine innige Beziehung zu dieser Musik und ihrer Geschichte…

JP: Ich mag die Musik, ich mag es, wenn die Leute zu unserer Musik tanzen und Spaß haben. Wir proben oft und in gewisser Weise ist es auch Arbeit, aber es gibt mir viel. Und es ist mir wichtig, die kleinen, lokalen Bräuche am Leben zu erhalten. Die Globalisierung bringt die Gefahr mit sich, dass viele dieser kleinen Dinge verschwinden könnten. Ich finde, jede Region sollte ihre ureigenen Traditionen und Bräuche bewahren.

 

KT: Du bist also unter der Woche regelmäßig als Landvermesser und Meteorologe unterwegs und am Wochenende ganz genauso regelmäßig als Musiker. Wie würdest du dein Leben beschreiben. Ist es eher voller Routine oder voller Abenteuer?

JP: Ich würde sagen, es hat von beidem etwas. Natürlich sind die äußeren Dinge Routinen. Ich tue immer wieder die gleichen Dinge, aber es ist jedesmal anders. Ich bin jedes Wochenende mit der gleichen cobla unterwegs, aber wir sind jedes Wochenende in einem anderen Dorf, sehen andere Leute und wir spielen auch immer wieder andere Stücke.

Mit dem Wetter ist es ganz ähnlich. Es ändert sich jeden Tag. Der Himmel ist jeden Tag anders, der Wind ist anders. Die Wassertemperatur ist anders, sie ändert sich nicht nur mit der Jahreszeit, sondern auch mit der Tiefe, in der ich messe. Wie sehr sich die Temperatur in einer Wassertiefe von sagen wir 50 Metern verändert, hängt zum Beispiel unter anderem damit zusammen, aus welcher Richtung der Wind gerade weht, ob es unser berühmter Tramuntana ist oder ein anderer Wind. Ich mag es, all diese Aspekte miteinander in Beziehung zu setzen und daraus meine Schlüsse zu ziehen. In gewisser Weise ist das das Abenteuer, dass ich schon als Junge mit zwölf oder dreizehn Jahren gesucht habe, als ich mit meinem Vater und den Fischern aufs Meer fuhr.

Vollmond am Leuchtturm der Medas-Inseln, umgeben von halbdurchsichtigen Wolken. © Josep Pascual

 

KT: Glaubst du eigentlich, du hast aufgrund deiner Arbeit eine Art deformation professionelle?

JP: Ich habe bestimmt einige – aber die fallen mir gerade nicht ein. Was mich allerdings ständig begleitet ist die Tatsache, dass ich furchtbar unordentlich bin. Wenn du mich nach den Daten der letzten Woche fragst, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich sie nicht finden werde. Aber wenn du mich nach den Daten des gleichen Tages vor 40 Jahren fragst, dann finde ich die sofort. Diese Ordnung kommt dadurch zu Stande, dass ich ständig etwas suche, dass ich nicht finden kann. Und dann fange ich an, meine Daten so lange zu ordnen, bis ich finde, was ich suche.

Früher war es leichter, weil ich damals noch weniger Daten aufgenommen habe. Heute ist der Umfang an Daten wirklich groß, dafür habe ich heute den Computer, der es wesentlich leichter macht, Dinge wiederzufinden. Übrigens stelle ich meine Daten auch für alle einsehbar auf meine Website www.meteolestartit.cat.

 

KT: Hand aufs Herz, wer sagt für L’Estartit besser das Wetter voraus? Die Meteorologen im Fernsehen, oder Josep Pascual?

JP: (lacht) Wie gesagt, aufgrund unserer besonderen Geographie gibt es hier eine solche Vielzahl von Mikroklimata, dass jemand aus der Region, der sich gut auskennt, vermutlich bessere Voraussagen machen wird, als jemand, der die Großwetterlage auf dem Schirm hat. Aber Voraussagen sind eben nie exakt. Exakt sind nur die Dokumentationen dessen, was war.

© Josep Pascual

 

Info:
Josep Pascual dokumentiert regelmäßig Wassertemperatur und den Meeresspiegel von L’Estartit, außerdem auch die Art der Wellen, die Luftverdunstung, den Luftdruck, die Klarheit der Luft sowie die Temperatur und die Durchflussmenge einiger Quellen. Einmal pro Woche dokumentiert er außerdem Temperatur und Durchflussmenge des Flusses Ter in Torroellea. Alle zwei bis drei Tage fährt er zur Roca Maura, ein Berg oberhalb von L’Estartit, wo eine kleine Wetterstation Temperatur, Luftfreuchtigkeit, Verdunstung und Windstärke misst.

Etwa einmal im Monat fährt er nach Banyoles, das etwa 45 Kilometer von L’Estartit entfernt liegt, um auch die Temperatur des dortigen Sees zu messen. Seine Daten sind für die Allgemeinheit einsehbar auf der Website www.meteolestartit.cat, zum Beispiel in den Rubriken „meteogrames“, “Resums”, “Mar”, und „Banyoles“.

Mit der Tenora auf dem Meer: So ist Josep Pascual ganz in seinem Element. © Josep Pascual

 

 

Eva Hakes: